Politik  -   Wirtschaft  -   Menschen  -   Reisen            

Lernen statt verdienen

31. Mai 2012 – 09:19

Die Entlohnung ist Minimal, bezahlt wird in Erfahrung: Ein Engagement als Entwicklungshelfer im Ausland fordert viel Idealismus und einen langen Atem, erweitert dafĂŒr aber nicht nur den beruflichen Horizont. Drei Deutsche erzĂ€hlen ĂŒber ihre Erfahrungen – von Verbuschung bis Weltfrieden.

Wie sein Hang zu Afrika einst entstanden ist, gesteht Sven Hager heute zögernd, das traue er sich gar nicht so recht zu sagen. Ganz am Anfang stand eine „alte ZDF-Sendung ĂŒber Shaka Zulu“, gibt er lachend zu. Heute fĂŒhrt Hager im Auftrag der Deutschen Gesellschaft fĂŒr Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein QualitĂ€tsmanagement-System an zwei Berufsschulen der Nelson Mandela Metropolregion ein. Mit Zulu-Kriegern in Leoparden-Fellen hat die sechstgrĂ¶ĂŸte Metropolregion SĂŒdafrikas wenig zu tun. Volkswagen betreibt dort ein Werk, ein Heer von Zulieferern und dutzende andere deutsche Unternehmen haben sich rund um die wichtige Hafenstadt Port Elizabeth am Indischen Ozean niedergelassen – es gibt Feinschmecker-Jagdwurst, einen Deutschen Klub und sogar einen deutschen Hausfrauenverein. Doch deswegen ist Hager nicht hier. „Es ist schön, sich immer wieder auf etwas Neues einstellen zu können“, bringt er seine Motivation fĂŒr die Entwicklungszusammenarbeit auf den Punkt. Dabei klingt seine Berufsbeschreibung zunĂ€chst nach viel Leistung und wenig Honorierung: „Du musst Experte in deinem Feld sein, dich auf Neues einstellen können und bereit sein, fĂŒr wenig Geld zu arbeiten.“ Denn das Entwicklungshelfergesetz schreibt ein Engagement „ohne Erwerbsabsicht“ vor, statt Lohn gibt es Unterhalt. „Du kannst hier schon ĂŒberleben, aber ich kann nichts sparen“, fasst Hager zusammen.

Hager ist ein ĂŒberlegter, ruhiger Macher, der sich – allein die aufblitzenden Augen verraten es – fĂŒr außergewöhnliche Herausforderungen begeistern kann. Schon wĂ€hrend des Studiums der sozialen Arbeit geht er 1999 als Praktikant einer NGO das erste Mal nach Johannesburg, trainiert EmpfĂ€nger im Umgang mit Mikrokrediten. Nach einem Jahr hat er sich in die Stadt verliebt. Er will zurĂŒckzukommen, um in der Entwicklungshilfe zu arbeiten. Doch zunĂ€chst tauscht er den 8-Millionen-Molloch gegen Nordhausen, entwickelt in der nord-thĂŒringischen Kreisstadt Mitarbeiter-Fortbildungsprogramme fĂŒr das Jugendsozialwerk. Bildungsprojekte fĂŒr Sozialarbeiter in Uganda, Kenia und Sierra Leone halten den Traum von Afrika am Leben. Als seine Frau schließlich aus ThĂŒringen zurĂŒck nach Hannover will, gibt er den Job auf, schickt aber eine einzige Bewerbung fĂŒr den „Umweg“ ĂŒber Port Elizabeth ab. „Und dann war ich plötzlich hier“, ĂŒbertreibt der Planer Hager und erzĂ€hlt aus seinem neuen Aufgabenbereich. Die beiden Colleges, an denen er arbeitet, wurden 2003 aus den ehemals nach den Gesetzen der Apartheid getrennten Einrichtungen fĂŒr Schwarze, Coloureds und Weiße zusammengelegt, das Management eher nach politischen GrĂŒnden als nach inhaltlicher Kompetenz eingestellt. „Wir arbeiten ohne jegliche Richtlinien im Augenblick, ohne legalen Rahmen“, berichtet Hager und man merkt, wie fremd ihm das ist, wie sehr es ihn verwundert und wie groß der Elan ist, diesen Zustand schnellstmöglich zu beheben. Seine Aufgabe ist es, mit den Mitarbeitern Prozesse zu definieren und zu entwickeln, sowie den eigentlichen QualitĂ€tsmanager auszubilden. Es geht um PersonalfĂŒhrung und den effizienten und planmĂ€ĂŸigen Betrieb der Schulen. Zwei Jahre hat er dazu Zeit, solange schreibt die GIZ ihre Stellen fĂŒr Entwicklungshelfer aus. „Schwierig“, findet Hager das, „denn produktives Arbeiten fĂ€ngt eigentlich erst nach zwei Jahren an.“ Der Aufbau einer guten Partnerschaft dauere einfach „unglaublich lange“. Doch er lohnt sich – fĂŒr beide Seiten. Der 37-JĂ€hrige schĂ€tzt den Bildungseffekt, das stĂ€ndige Hinterfragen eigener Gesetze: „Das bringt einem selbst ganz viel, wenn man in eine neue Umgebung kommt, weil man auch ganz viel lernt“, erzĂ€hlt er und schiebt ein Beispiel nach, das fast nach IdentitĂ€tskrise klingt: „In Deutschland ist ja alles gut durchorganisiert und hier ist das so: In den Colleges gibt es eigentlich keine allgemeingĂŒltige Struktur, aber es funktioniert trotzdem – wo ich mich frage: Wie funktioniert das, welche informellen Systeme sind da am Werk?“ Nicht zuletzt sind es auch diese Erfahrungen, die den Familienvater ĂŒberlegen lassen, noch zwei Jahre dran zu hĂ€ngen.

Aniela Batschari hat verlĂ€ngert, mehrmals sogar. Insgesamt zehn Jahre lang hat die gebĂŒrtige Frankfurterin fĂŒr den Deutschen Entwicklungsdienst (DED), der 2011 bei der Zusammenlegung der staatlichen Entwicklungszusammenarbeitsorganisationen in der GIZ aufging, in SĂŒdafrika gearbeitet. Aus Karriere-Sicht eigentlich viel zu lange, dass weiß sie selbst. „Du musst raus, um deine Berufschancen beizubehalten. Die Leute haben keine besondere Meinung ĂŒber Entwicklungshelfer. Man gilt dann als ‚verbuscht‘.“ Doch Batschari war nie ein Karrieremensch. „Ich dachte immer: Wird sich alles schon ergeben“, erzĂ€hlt die 45-JĂ€hrige offen. Also hat sie Frauengruppen und Kleinbauern im Umgang mit Medien geschult, lĂ€ndlichen Gesundheitsberatern, Gemeinschaftstourismus-Projekten und Kunsthandwerkern bei der Außendarstellung geholfen und aus dem DED-Programm zur StĂ€rkung der Zivilgesellschaft heraus 2008 an der Walter Sisulu UniversitĂ€t in East London eine Studenten-Nachrichtenagentur gegrĂŒndet, die angehende Journalisten praktisch ausbildet und gleichzeitig Gemeindezeitungen mit Nachrichten versorgt. Die Uni hat sie schließlich ĂŒbernommen, seit 2010 doziert die Kommunikationswissenschaftlerin Journalistik und auch wenn das Telefon in ihrer Lehrredaktion eigentlich nie funktioniert, hat sie sich ihren Idealismus bewahrt. „Mit der Arbeit, die du machst, verĂ€nderst du schon was, keine großartigen Sachen, aber im Kleinen“, beschreibt sie ihren Antrieb. Kann sie sich ĂŒberhaupt noch vorstellen, nach Deutschland zurĂŒckzukehren? Batschari lĂ€chelt kurz und schĂŒttelt dann sanft den Kopf.

Wie sehr die Entwicklungsarbeit zur Berufung wird, hat auch Birgit Schweizer erlebt. Seit 1984 lebt die Tochter deutscher Auswanderer wieder in ihrem Geburtsland SĂŒdafrika. Die Familie war aus Johannesburg nach Deutschland zurĂŒckgekehrt als Schweizer elf Jahre alt war, doch nach dem Studium zog es sie wieder ins Land ihrer Kindheit. „Ich wollte eigentlich ein bis zwei Jahre gehen, aber dann wurden immer mehr daraus“, blickt die 51-jĂ€hrige Diplom-Sozialarbeiterin zurĂŒck. Hinter ihr liegt eine lange Karriere im Auftrag des Guten. Schweizer setzte sich zu Zeiten der Apartheid fĂŒr aus dem GefĂ€ngnis entlassene WiderstĂ€ndler ein und arbeitete im ersten doppelt integrierenden Kindergarten – fĂŒr schwarze und weiße, behinderte und nicht-behinderte Kinder. Seit 1992 engagiert sie sich in Kapstadt bei der Cape Mental Health Society, einer Einrichtung fĂŒr geistig Behinderte und psychisch Kranke. Nach den Anfangsjahren als Fundraising-Managerin war sie zehn Jahre lang Anleiterin fĂŒr 31 Mitarbeiterinnen in vier Schwerstbehinderteneinrichtungen in den Townships der Kap-Metropole. „Ich habe viel gelernt ĂŒber die Kultur“, sagt Schweizer, auch wenn es eine anstrengende Aufgabe war. Inzwischen managt sie die Freiwilligen der Organisation, sitzt außerdem als SchriftfĂŒhrerin des deutsch-sĂŒdafrikanischen Vereins SAGE-Net (South African German Network), der Partnerorganisationen am Kap mit FachkrĂ€ften und Freiwilligen unterstĂŒtzt. Die helfen in den Programmen mit Behinderten genauso wie im urbanen Gartenbau, in der Bildungsförderung oder in Kinderheimen – in der Regel fĂŒr ein Jahr. Schweizer selbst ist bis heute geblieben und will auch gar nicht mehr zurĂŒck. „Ultimativ“, daran glaubt sie fest, „können Partnerschaften, wie wir sie mit SAGE-Net haben, zum Frieden in der Welt fĂŒhren, wenn Menschen sich miteinander austauschen.“

Erschienen am 31. Mai 2012 auf ZEIT online.