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Die Party vor dem Sturm

10. Januar 2011 – 14:05

Zum 99. Geburtstag des ANC übt sich Südafrikas Regierungsallianz in Einigkeit – doch die Gräben sind tief und könnten 2011 noch weiter aufreißen

„Seid ihr bereit für Präsident Zuma?“, rief der DJ unterstützt von basslastigen Housebeats der Menge im Peter Mokaba Stadion zu. Mit 60 000 Anhängern feierte der südafrikanische ANC am vergangenen Samstag in ausgelassener Festivalstimmung seinen 99. Geburtstag. Und während sein Stellvertreter Kgalema Motlanthe in der WM-Arena zu Polokwane bereits fröhlich lächelnd auf der Bühne tanzte, lief Präsident Jacob Zuma noch eine Stadionrunde, um den jubelnden Massen zuzuwinken. Das harmonische Gesamtbild sollte auch während der Grußbotschaften zum Ehrentag der am 8. Januar 1912 gegründeten Freiheitsbewegung und heutigen Regierungspartei nicht getrübt werden.

In wenigen Monaten stehen Kommunalwahlen an in Südafrika und so demonstrierten die Geburtstagsgäste vor allem Einigkeit. „Seite an Seite“ werde man mit dem ANC schreiten, versicherte Blade Nzimande, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP). Auch Sdumo Dlamini, Präsident des Gewerkschaftsbundes COSATU, sicherte dem ANC „absolute Unterstützung“ zu. COSATU und die SACP sind mit dem ANC seit dem Anti-Apartheid-Kampf in einer Allianz verbündet. „Es gibt keine andere Partei“, unterstrich Dlamini. „Wo wir heute stehen, das verdanken wir dem ANC.“

Dlaminis Gewerkschaftskollege Zwelinzima Vavi sieht das ähnlich – nur weit weniger positiv. Erst im Dezember rechnete der kritische COSATU-Generalsekretär vor, dass die zwanzig reichsten Südafrikaner im vergangenen Jahr ihr Vermögen um 45 Prozent gesteigert haben, während 1,1 Millionen während der Wirtschaftskrise ihre Arbeit verloren und inzwischen mehr als fünf Millionen Menschen am Kap in Armut leben. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 25 Prozent. Weil aus der Not geborene Straßenhändler und die 624 000 Menschen, die die Arbeitssuche laut der staatlichen Statistikstelle aufgegeben haben, nicht in die Berechnung fallen, dürften die tatsächlichen Zahlen bei weit über 30 Prozent liegen. Vavi glaubt, dass daran auch die Vetternwirtschaft in der Regierungspartei schuld ist und greift die ANC-Oberen frontal an. Von „politischen Hyänen“, die sich zulasten der Armen bereichern, spricht er – oder von der „Raubtier-Elite, die ihren Zugang zum Staat missbrauchen um Reichtum anzuhäufen“. Der zwei Millionen Mitglieder starke Gewerkschaftsbund hat deswegen noch vor einigen Wochen damit gedroht, „korrupten, unfähigen und faulen“ ANC-Kandidaten bei den kommenden Wahlen die Unterstützung zu verweigern. Von all dem verlor Dlamini am Samstag allerdings kein Wort.

ANC- und Staatspräsident Zuma beließ es in seiner eintönig abgelesenen Rede fast schon traditionell bei Versprechungen zur Armutsbekämpfung. 2011 solle das Jahr der Arbeitsplatz-Schaffung sein, der ANC wolle in Bildung investieren und die Gesundheitsversorgung verbessern – hehre Ziele, aber keine Neuigkeiten. Ob die angekündigte finanzielle Unterstützung für Bachelor-Absolventen das Problem beseitigt, dass 16-jährige Südafrikaner in Mathematik dreimal schlechtere Ergebnisse liefern als 14-jährige Kinder in Zypern, scheint zudem fraglich. Die Lehrer an den staatlichen Schulen sollen mindestens sieben Stunden täglich unterrichten, fordert Zuma. Die Crux liegt allerdings darin, dass die Arbeitsverträge das längst verlangen, die Realität aber gerade an den schlecht ausgestatteten und überfüllten Township-Schulen bei unter vier Stunden liegt und der Präsident kein Konzept hat, das zu ändern.

Auf ähnlich schwachem Fundament stehen die fünf Millionen Arbeitsplätze, die die Regierung mit ihrem kürzlich vorgestellten „Neuen Wachstumsplan“ bis 2020 schaffen will. Das Konzept strebt im Kern eine neue Sozial-Partnerschaft zwischen Staat, Unternehmen und Gewerkschaften an. Bei stärkerer staatlicher Regulierung sollen gleichzeitig Managergehälter eingefroren aber auch Lohnerhöhungen für Arbeiter gedrosselt werden, um so die Inflationsrate zu senken und neue Investoren anzulocken. Von Wirtschaftsexperten wie dem ehemaligen Weltbank-Chefökonom Joseph Stiglitz gab es dafür Applaus. Doch ob die verhaltene Zustimmung der Kommunisten und Gewerkschaften auch nach der Geburtstagsharmonie Bestand hat, wird davon abhängen, inwieweit das Papier die von der südafrikanischen Linken geforderte wirtschaftliche Transformation einleitet.

Dass Julius Malema, der populistische Lautsprecher und Vorsitzende der ANC-Jugendliga, erneut Verstaatlichungen als einzige Lösung der Probleme Südafrikas ausgab, haben selbst die Kommunisten in der Vergangenheit als gehaltloses Getöne abgetan. Aber auch COSATU sieht den Wachstumsplan lediglich als „gute Diskussionsgrundlage“. Wenn die Debatten anstehen, dürfte auch Vavi wieder mit am Tisch sitzen und der hat längst angekündigt, seine Mitglieder nicht länger als „Stimmvieh“ benutzen zu lassen. Es geht um nicht weniger als Macht, Einfluss und den politischen Kurs Südafrikas.

Erschienen am 10.1.2011 in der Westfälischen Rundschau.