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Die Ruhe vor dem nächsten Sturm

22. November 2012 – 06:35

Südafrikas Bergleute und Farmarbeiter haben ihre Streiks beendet – doch das nächste Ultimatum läuft bereits

Dass Südafrikas Gewerkschaftsbund COSATU auf den Farmen des Landes wenig Einfluss hat, ist ein altbekanntest Übel – und mit der gewerkschaftsfeindlichen Haltung der Farmer sowie der prekären Lage der entrechteten Arbeiter leicht erklärbar. Als die nun für gut zwei Wochen gegen ihre sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen und Löhne aufstanden, hofften auch die Gewerkschaften auf bessere Zeiten. Tatsächlich nahmen die Farmarbeiter die ausgestreckte Hand an und lauschten den scheinbar für sie verhandelnden Funktionären. Am Donnerstag vergangener Woche endete die frische Beziehung. COSATU, Bündnispartner des regierenden African National Congress (ANC), hatte auf dessen Druck den Streik für ausgesetzt erklärt, die Farmarbeiter die Anweisung aber schlicht ignoriert. Nach einer Verhandlung mit Vertretern der Streikenden kehrten die wütenden Arbeiter am Montag zwar auf die Felder zurück, doch der Vertrauensverlust bleibt.

Für die einstige Befreiungsbewegung aus ANC, COSATU und der während der gesamten Streiks nicht wahrnehmbaren Kommunistischen Partei Südafrika (SACP) setzt sich damit eine Entwicklung fort, die im Bergbau bereits seit August zum Zerfall der einst größten Einzelgewerkschaft des Landes, der National Union of Mineworkers (NUM), geführt hatte. Die selbsternannt revolutionäre Regierungsallianz hat den Kontakt zu den Arbeitern verloren. Als Resultat sind wie im Minengürtel, wo der weltgrößte Platinproduzent Anglo American Platinum den letzten großen Streik zehntausender Kumpel in der vergangenen Woche nach fast zwei Monaten mit einer Einmalzahlung von umgerechnet 400 Euro beenden konnte, bereits jetzt neue wilde Streiks absehbar. „Der Streik ist eine Initiative der Farmarbeiter und daher kann ihn auch niemand anders als die Arbeiter selbst für beendet erklären“, stellte die Koalition der Farmarbeiter in der Resolution ihres Treffens vom Sonntag klar. Weiter kämpferisch zeigten sich auch die Bergleute, die am Samstag erneut zu einer Demonstration zusammengekommen waren. Man habe zwar das Angebot akzeptiert, die Arbeiter hofften allerdings, dass Neuverhandlungen das Angebot näher an ihre Forderungen bringe, so der Sprecher des Streik-Komitees, Gaddafi Mdoda.

Vorerst haben die Arbeiter dennoch verloren. Die 400 Euro, zu denen lediglich eine minimale Gehaltserhöhung von knapp 40 Euro monatlich kommt, wiegen die Gehaltsverluste der Kumpel durch den Streik nicht auf. Für die Farmarbeiter, die nun provisorisch 80 statt der bisherigen 69,39 Rand am Tag – und damit umgerechnet einen Euro mehr – erhalten sollen, ergibt sich eine ähnliche Rechnung. Doch sie sind ausgeblutet, die Haushaltskassen in den Armensiedlungen sind leer, es fehlt schlicht am Brot auf dem Tisch, um weiter zu streiken. Doch auch die Unternehmer haben verloren. Allein Anglo American berichtet von Produktionsausfällen im Wert von 2,4 Milliarden Rand (215 Millionen Euro) in der Platinförderung. Dazu kommt die politische Instabilität, die mit dem der Kontrollverlust der investorenfreundlichen ANC-Machthaber einhergeht. „Die Streiks haben das Ansehen Südafrikas beschädigt“, stellt Finanzminister Pravin Gordhan fest. Angesichts der von den Rating-Agenturen verkündeten doppelten Abwertung hat der ANC-Pragmatiker damit sicherlich recht. Weil Südafrika auf 80 Prozent der weltweiten Platinvorkommen sitzt und das Gros der restlichen Ressourcen in Simbabwe liegt, dürften die Folgen allerdings zumindest für den Sektor selbst überschaubar sein.

Schwerwiegender ist der Ansehensverlust für den ANC selbst. Kurzfristig muss der im Dezember zur Wiederwahl stehende Präsident Jacob Zuma zwar nicht um seine Macht bangen, weil ihn parteiintern ein weitläufiges System politischer Loyalitäten schützt. Auch von der stärksten Oppositionspartei, der neoliberalen Democratic Alliance, droht vor den Präsidentschaftswahlen 2014 keine Gefahr, weil sie für die Arbeiter als Partei der Bosse und des Freihandels nicht wählbar ist.  Doch auf lange Sicht droht der ANC sich selbst zu entkernen. Der Aufstand der Machtlosen gegen die neuen Herren hat längst begonnen. „Wir geben der Regierung Zeit bis zum 4. Dezember, um den Mindestlohn auf 150 Rand festzusetzen“, formulieren die Farmarbeiter in ihrer Resolution klipp und klar. „Wenn sie das nicht tun werden wir die Intensivierung der Protestaktionen sehen, im Ausmaß und in der Militanz.“

Erschienen am 22. November 2012 in junge Welt.