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Kommentar: Dem ANC fehlt die moralische Größe seiner Helden

9. Januar 2012 – 20:04

Südafrikas African National Congress hat allen Grund seinen 100. Geburtstag ausgiebig zu feiern. Die heutige Regierungspartei und politische Heimat Nelson Mandelas hat einstmals zersplitterte schwarze Ethnien in einer Befreiungsfront zusammengebracht und gegen ein militärisch übermächtiges, menschenverachtendes Regime die Freiheit erzwungen. Nicht ohne Grund hat die Partei als einzige weltweit mit Albert Luthuli und Nelson Mandela zwei Friedensnobelpreisträger hervorgebracht. Insbesondere Mandela, der 27 Jahren in den Kerkern des Apartheid-Staates verbrachte, hat Großes geleistet für die Demokratie am Kap. Der heute 93-jährige hat nicht nur ein zutiefst gespaltenes Land vom Rande des Bürgerkriegs über Rassengrenzen hinweg zusammen gebracht, Mandela hat mit seinem Machtverzicht nach fünfjähriger Amtszeit als erster frei gewählter Präsident Südafrikas zudem bewiesen, dass Freiheitshelden nicht zwingend zu altersstarren Despoten werden müssen. Auf dieses Erbe kann der ANC stolz sein. Doch diese Geschichte lässt sich weder mit einem Golfturnier noch mit einer mühsam abgelesenen Rede angemessen ehren.

Südafrikas Präsident Jacob Zuma hat ein armseliges Bild abgegeben zum Jahrhundert-Jubiläum seiner Partei. Dass Zuma, während der Apartheid als Hirtenjunge ohne formale Schulbildung aufgewachsen, kein großer Rhetoriker ist, mag man ihm verzeihen. Aber dass er die Allianz-Partner und Parteiligen aus Angst vor Kritik um ihre Redebeiträge brachte, ist ein Skandal. Zuma hat für die Freiheit Südafrikas gekämpft und für sein Engagement selbst zehn Jahre auf Robben Island im Gefängnis gesessen. Auch nach seiner Freilassung hat er sich sofort wieder in den Dienst der Befreiungsbewegung gestellt, aber ihm fehlt trotz seiner Verdienste nicht nur die rhetorische Größe eines Mandelas, ihm fehlt vor allem die moralische Integrität.

Während er die Armen des Landes mit immer neuen Durchhalteparolen zu Arbeitsplätzen und Armutsbekämpfung abspeist, ist er in innerparteilichen Macht- und Flügelkämpfen vor allem darauf fokussiert seine eigene Machtbasis zu erhalten. Die Gewerkschaften, die ihn einst unterstützten, kritisieren die Korruption in der Führungsriege inzwischen laut und öffentlich, die ehemaligen Kommunisten der SACP sind mit hochrangigen und lukrativen Positionen in Staat und Partei ruhiggestellt und die inzwischen in einem Disziplinarverfahren gemaßregelte, machtgierige Führung der ANC-Jugendliga betreibt aktiv die Spaltung der Partei, weil sie sich bei der Verteilung der Geburtstagstorte aus Staatsaufträgen und Minister-Anwartschaften im Hintertreffen sieht. Doch Zuma räumt seinen Laden nicht auf, er sucht einfach neue Verbündete in der neureichen, schwarzen Unternehmerschicht und schafft sich wie mit dem jüngsten Gesetz zum Schutz von Regierungsinformationen immer weitreichendere Machtbefugnisse, um Kritiker kaltzustellen.

Angesichts der aktuellen Entwicklungen in Regierung und Partei wirkt das für die Gründer und Kämpfer der Bewegung sicherlich zutreffende offizielle Jubiläumsmotto „100 Jahre selbstloser Kampf“ daher wie bitterer Zynismus. Die heutige Führung Südafrikas täte gut daran, die Helden ihrer Bewegung nicht nur als Ikonen zu feiern, sondern aus ihrem Handeln zu lernen. Ansonsten geht das Land dunklen Zeiten entgegen.

Erschienen am 9. Januar 2012 im Weser-Kurier.