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Nigeria steht still

11. Januar 2012 – 17:55

Generalstreik gegen Abschaffung von Treibstoff-Subventionen legt Öl-Förderland lahm/ Drei Tote bei Protesten

Nichts geht mehr in Nigeria. Seit Montagmorgen sind die Geschäfte, Märkte, Tankstellen, Banken, öffentlichen Einrichtungen und Schulen in den großen Städten des mit 160 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Landes Afrikas geschlossen, das öffentliche Leben liegt lahm. Aufgerufen zu dem Generalstreik hatten mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften sowie der mächtige Gewerkschaftsdachverband Nigeria Labour Congress (NLC) nachdem die Regierung unter Präsident Goodluck Jonathan zum Jahreswechsel die Treibstoffsubventionen im wichtigsten Öl-Förderland Afrikas gestrichen hatte. Der Benzinpreis hat sich seitdem mehr als verdoppelt.

Jonathan versuchte noch am Samstagabend mit einer Fernsehansprache den Generalstreik zu verhindern und die Bevölkerung hinter sein Sparprogramm zu bringen. Er kündigte an, auch die Gehälter der Staatsbeamten und Politiker um 25 Prozent zu kürzen. Nigeria ist der weltweit zwölftgrößte Ölförderer, muss sein Benzin jedoch wegen des schlechten Zustands seiner Raffinerien zum Großteil teuer aus dem Ausland importieren. Dank der Regierungssubventionen kostete der Liter Benzin bisher dennoch lediglich 65 Naira (0,31 Euro), seit Jahresbeginn ist der Preis auf 141 Naira (0,68 Euro) gestiegen. Durch Subventionsstreichungen will die nigerianische Regierung umgerechnet gut sechs Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen einsparen. In der Tat wäre das Geld in den Schulen und Krankenhäusern des zuletzt auch durch Terroranschläge der islamistischen Terror-Organisation Boko Haram erschütterten Landes dringend benötigt, auch das marode Stromnetz braucht Investitionen. Doch die Nigerianer haben das Vertrauen in ihren chronisch korrupten Staatsapparat verloren, sie glauben nicht an eine gerechte Umverteilung – entsprechend umfangreich und diszipliniert verlief der Generalstreik. Weshalb es dennoch zu drei Todesopfern kommen konnte, ist derzeit noch unklar. Berichten der nigerianischen Tageszeitung „Guardian“ zufolge seien zwei Personen in der nördlichen Stadt Kano beim Versuch, den dortigen Gouverneurssitz zu erstürmen, erschossen worden, der in der Wirtschaftsmetropole Lagos erscheinende „Business Day“ berichtete von einem Mann, der dort aus ebenfalls ungeklärten Gründen von der Polizei erschossen worden sei.

Derweil protestierten auch vor dem Sitz der Weltbank in Washington Nigerianer gegen das Sparpaket. Gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte die Institution den Sparkurs gefordert. „Weil die Politik-Vorschriften der Weltbank und des IWF von unserer Regierung ohne Rücksicht auf die sozio-ökonomischen Folgen für unser Volk komplett geschluckt werden, finden wir uns heute in dieser Situation wieder“, schrieb NLC-Generalsekretär Owei Lakemfa in einer Grußbotschaft an die Demonstranten in den USA. Der Gewerkschaftsbund fürchtet drastische Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Transportkosten. Jonathan kündigte unterdessen an, sich mit den Transportunternehmern treffen zu wollen, um ein direktes Durchreichen der Benzinpreiserhöhungen zu verhindern. Die bissige Reaktion der Gewerkschaften auf die offensichtliche Beruhigungsstrategie ließ nicht lange auf sich warten: „Wie kann man die Wirtschaft ‚deregulieren‘ und hoffen, die Transport-Tarife privater Anbieter zu regulieren?“, fragte Lakemfa.

Begrüßt haben die Gewerkschaften derweil einen Antrag des dem Bundesrat ähnlichen Repräsentaten-Hauses, die Subventionen wieder einzuführen. Bis es soweit ist, will das Protestbündnis den Generalstreik fortführen. Für den intern ohnehin geschwächten Jonathan dürfte die Durchsetzung des Sparkurses somit auch zur persönlichen Nagelprobe werden.

Erschienen am 11. Januar 2012 in junge Welt.