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Pech und Schwefel

10. Mai 2011 – 12:44

Südafrikanischer Gewerkschaftsbund COSATU kritisiert regierenden ANC heftig – und bleibt ihm mangels Alternativen doch eng verbunden

Eigentlich war der Anlass traurig genug. Der African National Congress (ANC) hatte in New Brighton, einer Township der Millionenstadt Port Elizabeth, zu einer Gedenkveranstaltung für Solomon Mahlangu geladen. Mahlangu war als 19-Jähriger nach dem blutig niedergeschlagenen Schüleraufstand von Soweto 1976 in den Untergrund gegangen, um für die Befreiung seines Landes zu kämpfen. Drei Jahre später ließ das Apartheid-Regime ihn im Zentral-Gefängnis von Pretoria erhängen. Im freien Südafrika rückte seine Geschichte nun dennoch in den Hintergrund. Aufgebrachte ANC-Mitglieder unterbrachen die Veranstaltung, weil sie mit der Kandidatenliste für die anstehenden Kommunalwahlen nicht einverstanden waren, aus dem Gedenken wurde Chaos. Am 18. Mai ist Wahltag in Südafrika, doch die Entscheidungen fallen in den meisten Gemeinden traditionell schon in den internen Auswahlprozessen vorab. Der Machtkampf, der dort tobt, könnte dem ANC allerdings weit gefährlicher werden, als jede einzelne Oppositionspartei. Auf Sicht könnte er außerdem die Auflösung der seit dem Kampf gegen die Apartheid gewachsenen Allianz aus Regierungspartei, Gewerkschaftsbund (COSATU) und Kommunistischer Partei (SACP) bedeuten.

Die Ereignisse von New Brighton waren in den vergangenen Wochen kein Einzelfall, gestürmte Parteibüros keine Seltenheit. In einigen Verwaltungsgebieten fand sich die Parteiführung sogar vor Gericht wieder – angeklagt von den eigenen Genossen. Und im Ostkap tauchte schließlich als trauriger Höhepunkt eine Todesliste auf – vier Verdächtige wurden festgenommen. „Das hat gezeigt, wie schlimm die Situation verkommen ist“, schrieb der ANC-Generalsekretär und SACP-Vorsitzende Gwede Mantashe dazu in einem Statement. Die Bedrohung werde die Partei aber nicht davon abhalten, ihr Mandat gegenüber dem Volk zu erfüllen, fuhr Mantashe professionell fort. Der ANC hat die Geister allerdings selbst heraufbeschworen, indem höhere Parteigremien von der Basis ernannte Kandidaten von den Listen strichen und in einem undurchsichtigen Verfahren ersetzten. Mehrere Ortsverbände drohen seitdem offen damit, die Opposition zu wählen, wenn auch widerwillig. Etliche Kandidaten haben den ANC bereits verlassen und treten nun parteilos an.

In der Nord-West-Provinz hat der ANC nicht nur kommunale Strukturen sondern auch den Bündnispartner COSATU übergangen und gemeinsame Kandidaten im Alleingang abgesägt. Der Protest ließ nicht lange auf sich warten, insbesondere Gewerkschafts-Generalsekretär Zwelinzima Vavi lässt seit über einem Jahr sowieso keine Gelegenheit aus, Korruption und Vetternwirtschaft im ANC zu kritisieren. „Es ist wahr, dass in einigen Fällen, populäre Kandidaten des Volkes Opfer von einflussreichen Cliquen geworden sind, die sich selbst zu Pförtnern der Macht ernannt haben“, ließ er neulich auf einer Konferenz der Metallarbeiter-Gewerkschaft Numsa kein gutes Haar an den ANC-Strukturen.

Der Schlagabtauch ist längst eskaliert. Vavi forderte gegenüber einer Sonntagszeitung in einem weiteren Streitfall, dass Sicelo Shiceka, Zumas Minister für traditionelle Belange, entlassen werden müsste, sollten sich Unterschlagungs-Vorwürfe gegen ihn bestätigen. Dem Mann wird vorgeworfen, umgerechnet hunderttausend Euro aus der Staatskasse veruntreut zu haben, um seine Ex-Freundin in der Schweiz zu besuchen und in Luxushotels zu residieren. Mantashe ließ daraufhin während einer Pressekonferenz verlauten, dass Vavi im Wahlkampf „nicht hilfreich“ sei. Er sage zwar in manchen Fällen die Wahrheit, treffe aber in anderen Situationen voreilige Entscheidungen. Die bissige Reaktion COSATUs: Genosse Mantashe solle doch „vielleicht alternative Wege vorschlagen, wie mit Korruption umzugehen sei“. Genau diese Frage kann sich COSATU allerdings selbst nicht beantworten, denn die Reaktion zu den eigenen starken Parolen ist gleich Null.

„Wir rufen unsere Mitglieder und loyalen ANC-Mitglieder in allen Regionen auf, für den Wahlsieg des ANC mitzuarbeiten, lasst uns das Buch der Beschwerden schließen“, heißt es im gleichen Atemzug in Friedenspfeifen-Metaphern. Der Gewerkschaftsbund verbreitet zwar gemeinsame Erklärungen mit der Kommunistischen Partei, in denen Vetternwirtschaft und Bereicherung an Staatsaufträgen als größte Übel des Landes gebrandmarkt werden, aber die Tatenlosigkeit gegen die Probleme eint die Bündnispartner in mindestens gleichem Maße. „Die, die genau wissen, dass sie nicht von den Ortsverbänden und den Mitgliedern nominiert worden sind, werden mit Sünden in ihren Herzen zurückbleiben“, erschöpft sich die Mitteilung schließlich in unfreiwilliger Komik.

Der südafrikanische Gewerkschaftsbund steht im Jahr seines 25-jährigen Jubiläums vor einer ausweglosen Situation. Die Differenzen mit dem regierenden ANC scheinen unüberwindbar, ein alternativer Bündnispartner ist aber weit und breit nicht in Sicht. Die Gewerkschafter klammern sich daher an eine Reform des ANC von innen, die allerdings mit jedem internen Kampf um Posten, Macht und zweifelhaften Reichtum unwahrscheinlicher wird. In den Querelen um die verschiedenen Listen-Streitigkeiten ist kaum noch zu erkennen, wer in welchem Maße die viel zitierten Ideale des Freiheitskampfes verteidigt und wer den Kampf um eigene finanzielle Freiheiten zum persönlichen Ideal erklärt hat. Selbst Gerüchte, wonach Präsident Zuma von einem einflussreichen Zirkel im ANC gestürzt werden sollte, kursierten bereits in der ohnehin äußerst regierungskritischen Presse, die die Skandale in der Allianz genüsslich auseinander nimmt.

Verlässt COSATU jetzt die Allianz, hilft das der offen gewerkschaftsfeindlichen Democratic Alliance (DA). Die regiert im West-Kap bereits seit Jahren und hat gute Chancen, dem ANC in weiteren Provinzen empfindliche Niederlagen zuzufügen. Bleibt der Gewerkschaftsbund allerdings in der Allianz, macht er sich selbst unglaubwürdig. Selbst Vavi hat sich in der Wahl zwischen Pech und Schwefel allerdings bereits entschieden und mahnt zum Zusammenhalt. „Wenn wir nicht aufpassen und Leuten gestatten, unsere Bewegung in diese Richtung zu führen, müssen wir vielleicht sehr bald jemanden Präsident Zille nennen“, kommentierte Vavi den Zwischenfall in Port Elizabeth und warnte in Anspielung auf die DA-Vorsitzende Helen Zille vor einem „absoluten Albtraum“. „Sagt meinen Leuten, dass ich sie liebe. Sie müssen den Kampf weiterführen“, hatte Solomon Mahlangu auf dem Weg zum Galgen gesagt. Sie kämpfen noch, nur die Ziele sind nicht mehr so klar.

Erschienen am 10. Mai 2011 in junge Welt.