Politik  -   Wirtschaft  -   Menschen  -   Reisen            

Terror der politischen Klasse

26. Juni 2012 – 10:34

Anschläge in Nigeria nehmen zu/ USA drohen mit Drohnen

Die Nachrichten aus Nigeria ähneln sich seit Monaten: Bombenanschläge auf Kirchen, Nachtclubs oder Polizeieinrichtungen, mordende Jugend-Mobs auf Rachefeldzug und eine Regierung, die immer machtloser erscheint. Die Opferzahlen steigen mit der immer höheren Frequenz der Attacken sukzessive, in der vergangenen Woche allein starben bei Bombenanschlägen der islamistischen Terrororganisation Boko Haram und Übergriffen christlicher Banden über hundert Menschen. Eine Lösung des Konfliktes ist nicht in Sicht, stattdessen gossen die USA am Donnerstag weiteres Öl ins Feuer und setzten drei Boko-Haram-Führer auf ihre Terrorliste. Die Reaktion der nigerianischen Botschaft auf die nun drohenden Drohnen-Angriffe: Ein Brief der Botschaft an die Amerikaner mit der Bitte, bei einem Angriff auf nigerianischem Boden die unmittelbaren Nachbarn der Terroristen zu verschonen.
Die neueste Episode der kopflosen Maßnahmen der nigerianischen Regierung unter Präsident Goodluck Jonathan führte einerseits zu starker Kritik aus religiösen Kreisen, die sich für eine friedliche Lösung einsetzen, und untermauerte andererseits erneut die Hilflosigkeit des nigerianischen Staates. Jonathan hatte zu Beginn des Jahres selbst zugegeben, dass Boko Haram Kontakt-Leute innerhalb seiner Regierung haben müsse. Enttarnen konnte er sie bis heute nicht. Am Freitag entließ der Regierungschef nun nach Angaben der in der Hauptstadt Abuja erscheinenden Zeitung Leadership wutentbrannt seinen nationalen Sicherheitsberater Andrew Azazi sowie den Verteidigungsminister Alhaji Bello. Die Ablösungen sind jedoch nicht mehr als hochrangige Bauernopfer. Während für Bello noch kein Nachfolger feststeht, übernimmt den Berater-Posten künftig der in den USA ausgebildete Ex-General Sambo Dasuki, ein ehemaliger Getreuer des Militärdiktators Ibrahim Babangida.
Die Hoffnung hinter Dasuki ist, dass der Moslem aus dem umkämpften Norden des Landes in der Krise vermitteln kann. Tatsächlich liegen die Wurzeln des nigerianischen Chaos allerdings nicht in unterschiedlichen Religionen sondern in der ausufernden Korruption und extremen Armut im bevölkerungsreichsten Land Afrikas, wo 80 Prozent der Menschen trotz riesiger Ölvorkommen von weniger als zwei Dollar pro Tag leben. Perspektiv- und Mittellosigkeit treiben die Jugendlichen in die Arme radikaler Lokalpolitiker, Geistlicher und Kriegsherren, die in der Regel selbst hauptsächlich politische und wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgen.
Wie Politik in Nigeria funktioniert lässt sich am Aufstieg Jonathans selbst ganz gut ablesen. Der Christ aus dem lange schwer umkämpften und von Anschlägen erschütterten Niger-Delta stieg vom Gouverneur des Delta-Bundesstaates Bayelsa 2010 zum Staatspräsidenten auf. Bereits jetzt mehren sich die Stimmen derer, die Politiker der nördlichen Bundesstaaten aufrufen, ihre Scharmützel zugunsten einer Einheitslösung aufzugeben. Aussichtsreich ist auch das nicht, weil Boko Haram inzwischen Teil des politischen Establishments der nördlichen Bundesstaaten ist. Auch Jonathan fehlt es am nötigen Einfluss, um die Verhältnisse nachhaltig zu ändern. Seine groß angekündigten Maßnahmen mit der – später teilweise wieder zurückgenommenen – Abschaffung der Treibstoffsubventionen die Korruption im Land zu bekämpfen, verlief vollends im Nichts.
Stattdessen stieg mit den Kosten für Transport und Nahrungsmittel auch die Wut der armen Massen. Zudem unterhält Nigeria weiterhin einen der teuersten Regierungsapparate der Welt, der ein Viertel seines Budgets für sich selbst ausgibt. „Was in der Nationalversammlung passiert kann passend mit zwei Worten beschrieben werden“, sagt daher der ehemalige Justiz-Minister Richard Akinjide: “Staatskassen-Plünderung“. Die politischen Kräfte im Norden fühlen sich bei der Jagd nach Ressourcen vom Präsidenten des Südens, Jonathan, benachteiligt. Ohne weitreichende Zugeständnisse wird der den Terror daher nicht beenden können.

Erschienen am 26. Juni 2012 in junge Welt.