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Welches Erbe bleibt nach den Spielen?

26. Mai 2010 – 12:48

Während die FIFA Profite macht, sehen Südafrikas Migranten der Zeit nach der WM mit gemischten Gefühlen entgegen

„Das ist einfach ein afrikanischer Traum“, sagt Stewart Gweri über die Fußballweltmeisterschaft, die demnächst auch in seiner Stadt, Port Elizabeth gastiert. Auch für die Migranten im Land? „Die WM kann ein Wendepunkt sein“, sagt der Simbabwer nach einer langen Denkpause, das Turnier mit seinen internationalen Gästen werde „einigen die Augen öffnen“. Der 28-Jährige ist ein ruhiger, besonnener Mann. Er hält den Ball flach, würde man im Kicker-Jargon sagen, doch Gweri ist gar kein großer Fußballfan.

Vor vier Jahren hat er seine Heimatstadt Harare hinter sich gelassen und ist nach Südafrika emigriert, um als Maler zu arbeiten, sich eine Existenz aufzubauen. Zwei Jahre später brach über viele seiner Landsleute die Hölle herein. Fremdenfeindliche Mobs wüteten vor allem in den Townships der Großstädte und griffen Ausländer aus anderen afrikanischen Ländern an, vor allem Simbabwer, aber auch Mosambikaner und Somalier – wer immer gut genug war als Sündenbock für die eigene Armut, die Arbeitslosigkeit und die mangelnden Perspektiven. Gweri hatte Glück, an Port Elizabeth ging die Welle der Gewalt größtenteils vorbei, an Walmer Township, dem Stadtteil in dem er wohnte, sogar völlig.

Sibulele Mjingwana aus Walmer hat trotzdem ein Gedicht geschrieben, weil ihn die Nachrichten im Fernsehen und in den Zeitungen so sehr mitgenommen hatten. „Gleiche Farbe, gleiche Haarstruktur, gleiches Zuhause – dennoch töten sie weiter, die Brüder ihrer selbst“, schreibt der heute 17-Jährige darin. „Meine Schuld wühlt mich auf über diesen ungelösten Fall, mein Hass schlägt sich auf das Gesicht der Xenophobie nieder“, enden die Zeilen des jungen Dichters, der schon mit 15 eine Poesie-Gruppe an seiner Schule gegründet hat. Er steht nicht allein in dem Township, das sich als eines der ganz wenigen nicht von der Apartheid-Militär-Maschine an den Stadtrand hatte verdrängen lassen.

„Als die Attacken in Kapstadt losgingen, hatten die Ausländer hier in der Nachbarschaft schon Angst und haben ihre Gitter abgeschlossen“, erzählt Lulama Stout. Der muskelbepackte Südafrikaner, in seinem Township eine kleine Rugby-Legende, ist Mitglied im Area Committee, einem Zusammenschluss aktiver Bürger, die in Fragen der Sicherheit und kommunalen Organisation mit der Stadtteilbürgermeisterin und der Polizei zusammenarbeiten. „Ich habe denen aber gleich gesagt, dass hier nichts passieren wird und es ist dann auch nichts passiert“, sagt Stout. Sein Wort hat Gewicht und wenn es nötig ist, kann der 34-Jährige, der sich derzeit als Straßenbauarbeiter und als Touristen-Führer für Township-Rundgänge durchschlägt, auch mal ungemütlich werden. „Wir sind eins hier in Walmer“, sagt er bestimmt und fügt noch hinzu, dass er gern zu den Simbabwern essen geht und sich auf den Straßen und in den Kneipen sowieso alle auf Augenhöhe begegnen. „Wenn wir uns deren Lebensgeschichten anhören, dann verstehen wir, warum sie ausgewandert sind. Diese Leute sind hier her gekommen, um zu überleben.“ Eine Insel der Glückseligkeit ist aber auch Walmer nicht. Der Nährboden für die Fremdenfeindlichkeit – die zerbrochenen Illusionen von einem besseren Leben nach dem Ende der Apartheid – ist der gleiche wie in jedem südafrikanischen Armenviertel.

Es sei schon vorgekommen, dass seine Frau in seinem Beisein von Wildfremden als „Schlampe“ beschimpft wurde, berichtet Gweri. Und als er neulich in der Stadt an einer Fassade arbeitete, hielt ein Wagen mit zwei Südafrikanern an, um ihn zu beschimpfen und wissen zu lassen, dass man selbst für die gleiche Arbeit mehr verlangt hätte. Aber das seien Ausnahmen, er fühle sich nicht als Opfer. Dass Simbabwer für einen Hungerlohn arbeiten, ist ein gängiges Vorurteil, das die südafrikanischen Bosse auch nur allzu gern Realität werden lassen. Dass Gweri sein eigener Chef ist, und was er wirklich berechnet hat, wussten die rechten Maulhelden natürlich überhaupt nicht. Getreten wird aber auch am Kap am liebsten nach unten. Weil die Regierung keine wirkliche Lösung anbietet, die Ausländer legal arbeiten zu lassen, bringt sie sich nicht nur um mögliche Steuereinnahmen sondern verhindert auch jede Möglichkeit, den Arbeitsmarkt hinreichend zu regulieren, um den Neid und den Hass einzudämmen.

Dass die FIFA das Thema der inner-afrikanischen Fremdenfeindlichkeit nicht angegangen hat, verwundert wenig. WM-Touristen eröffnen keine Tante-Emma-Läden in Townships und verdingen sich auch höchst selten als Maler, Gärtner oder Klempner auf Tagelöhner-Basis, also werden sie auch vor den Attacken sicher sein. Dennoch bemüht sich der Weltfußballverband wo es nur geht um ein gutes Ansehen. „Wir wollen auch, dass die WM in Afrika ein bleibendes Erbe hinterlässt. Unsere Priorität ist der Kampf gegen Armut, Analphabetismus und Probleme im Gesundheitswesen”, sagte der FIFA-Präsident Joseph Blatter Ende April auf einer Pressekonferenz in Zürich. Die Legende vom Wohlstand durch das Fußballturnier, von den blühenden Landschaften mit Wirtschaftswachstum und hunderttausenden neuen Arbeitsplätzen ist allgegenwärtig. Sie gehört zum Grundrüstzeug, mit dem die FIFA ihr Megaevent Fußballweltmeisterschaft bewirbt. Verschleiert wird damit vor allen Dingen eine Tatsache: Der mit Abstand größte Profiteur einer jeden WM ist die FIFA selbst. Doch die Infrastruktur für die immer neuen Rekordeinnahmen aus Werbe-Vermarktung und TV-Rechteverkauf dürfen die Gastgeberländer allein stemmen.

Die Großprojekte beim Straßen- und Stadien-Bau haben natürlich auch tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen und damit die Auswirkungen der globalen Finanzkrise in Südafrika etwas abgefedert. Das hat auch der Fremdenfeindlichkeit den Wind aus den Segeln genommen. Doch die meisten Jobs waren nur temporär, die große Mehrheit der Bauarbeiter, die die schicken Arenen errichtet haben, sind jetzt schon wieder entlassen. Außerdem haben die Investitionen in die WM ihren Preis und dieses Geld fehlt in anderen Budgets. Landauf, landab kam es daher zu Protesten in den Townships. Es geht um nicht gebaute Kliniken, mangelnden Kriminalitätsbekämpfung, fehlende Abwassersysteme, Stromleitungen und Jugendzentren. Wie ein schlechter Witz wirkt es da, wenn Blatter verkündet, er habe sich vor zwei Jahren mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und dem damaligen britischen Premierminister Gordon Brown getroffen, die daraufhin eine Million US-Dollar „in Schulen und Bildung investiert“ hätten. 750 000 Euro! Die WM-Stadien allein haben Südafrika mehr als eine Milliarde Euro gekostet, all die Ausgaben für Straßen, Flughäfen oder zusätzliche Polizeikräfte sind darin nicht einmal berücksichtigt. Die Hoffnungen, hunderttausende Touristen und damit das große Geschäft anlocken zu können, zerschlagen sich unterdessen immer mehr.

Die offizielle Zahl der erwarteten Besucher wurde unterdessen von 450 000 auf 373 000 korrigiert, Experten gehen von noch wesentlich weniger Touristen aus. Die FIFA-Tochter Match hat bereits massenhaft Hotelbuchungen rückgängig gemacht, bei Flugtickets sieht es nicht anders aus. Und die, die kommen, müssen zwar häufig deutlich höhere WM-Preise für Unterkünfte aufbringen, doch deswegen stellen die Hotels nicht automatisch mehr Personal ein und das Einkommen der Beschäftigten steigt ebenfalls nicht. Das hat der Hamburger Wirtschaftsprofessor Wolfgang Maennig anhand der WM 2006 in Deutschland herausgefunden. Der ehemalige Ruder-Olympia-Sieger hat vergangene Turniere in Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Auswirkungen untersucht. „Weltmeisterschaften haben oft nicht die positiven Umverteilungseffekte wie häufig geplant“, schlussfolgert er das Offensichtliche. Die kurzfristigen ökonomischen Auswirkungen der WM hält Maennig ebenfalls für gering. Dennoch ist er „absolut überzeugt, dass die WM ein fantastisches Ereignis für Südafrika wird.“ Die Südafrikaner müssten nur ihre Erwartungen zurückschrauben, um das nicht zu töten, was Wirtschaftler den „Feel-Good-Effekt“ nennen.

Das klingt abstrakt, wird aber deutlich, wenn man sich an einem Freitag in einer beliebigen südafrikanischen Stadt umsieht. Am „Fußball-Freitag“ tauchen dann überall in den Fußgängerzonen, Bürogebäuden und Einkaufszentren unzählige Trikots der heimischen Nationalmannschaft auf. Die Vorfreude auf die WM entlädt sich organisiert, jeder zeigt seine Vorfreude auf der Brust getragen. Die Südafrikaner sind stolz, eine WM ausrichten und der Welt ein guter Gastgeber sein zu dürfen. Und für viele ist es nach all den Jahren der Barbarei der Apartheid auch ein Schritt zurück in die Normalität, ja zur Anerkennung durch die globale Gemeinschaft. „Die WM ist kein Armuts-Bekämpfungsprogramm, aber das ‚weiche‘, weniger greifbare Erbe, kann möglicherweise ein größerer Beitrag für das Land sein“, sagt daher auch der südafrikanische Soziologe Udesh Pillay vom Zentrum für Sozialwissenschaften in Pretoria.

So gar nicht in die positive Stimmung passte kürzlich ein Bericht der Vereinigung für Flüchtlinge und Migranten in Südafrika (Cormsa). Es häuften sich die Berichte von Flüchtlingen, wonach ihnen gedroht werde, dass die fremdenfeindlichen Attacken wieder aufflammen, sobald die WM vorüber sei, teilte Cormsa in einer Pressemitteilung mit. Von den Gerüchten hat auch Stewart Gweri schon gehört. „Es sind aber auch nur Gerüchte“, sagt er. Sein Traum von einer erfolgreichen Karriere hat sich erfüllt. Inzwischen hat er eine eigene kleine Firma und sogar drei Angestellte, die gemeinsam mit ihm malern. Demnächst will er sein Geschäft anmelden – im Namen seiner südafrikanischen Frau natürlich. „Als Ausländer hast du keine Chance an offizielle Aufträge zu kommen, da bist du immer die letzte Option“, sagt er mit einem Lächeln. Als wäre es die normalste Sache der Welt.

 

Erschienen am 26.5. 2010 in junge Welt.