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Wie geschmiert

28. November 2012 – 06:50

Nigeria: Untersuchungskommission wirft Ölkonzernen Unterschlagung und Betrug vor

Ob es gut war, dass der Bericht der staatlichen Untersuchungskommission zu Unregelmäßigkeiten in der Öl-Industrie nun bereits vor seiner offiziellen Vorstellung durch eine undichte Stelle ans Licht der Öffentlichkeit kam, darüber streiten sich die politischen Kommentatoren in Nigeria dieser Tage. Damit sei die Integrität des Reports dahin, klagen die einen. Sonst hätte die Regierung die Ergebnisse manipuliert, befürworten andere die frühzeitige Lancierung. In Nigeria ist das eine reale Befürchtung. Erst im September hatte eine Parlamentskommission ihre Ergebnisse zu 87 Firmen unter Verschluss gestellt, denen Betrug im Zusammenhang mit Treibstoff-Subventionen vorgeworfen wird. Laut der in Lagos erscheinenden Tageszeitung Vanguard, einem der wenigen politisch unabhängigen Blätter des Landes, sollen in der Mehrzahl der Fälle hohe Regierungspolitiker und deren Angehörige unter den Profiteuren sein. Der jetzt öffentlich gewordene Bericht ist noch brisanter. Umgerechnet 29,4 Milliarden Euro hat Nigeria danach seit 2005 durch Unterschlagung, Preismanipulationen und Diebstahl verloren. Die Beschuldigten sind namhaft, neben Armee und Regierung tauchen auch die Namen internationaler Ölkonzerne auf.

Allein 22,4 Milliarden Euro gingen dem Staat verloren, weil der staatliche Erdölkonzern NNPC Öl unter Marktwerkt an ein halbstaatliches Jointventure unter Führung der europäischen Branchen-Größen Shell, Total und ENI verkauft hat. Wie die Konzerne zu den Schnäppchen kamen, legt der Bericht nicht offen. Die Unternehmen reagierten mit einer Melange aus Schweigen und Abstreiten. NNPC wirft der Kommission Fehlkalkulationen, die französische Total verweigerte eine Stellungnahme, da der Report noch nicht von der nigerianischen Regierung angenommen sei, und die italienische ENI verwies ihrerseits auf die NNPC als Kommentargeber. „Die Vorwürfe sind inkorrekt, aber wir können sie nicht weiter kommentieren, da wir die Basis der Berechnungen nicht kennen“, zeigte sich die britisch-niederländische Shell mit Blick auf den Nebenvorwurf unterschlagener Fördergebühren für ein Off-Shore-Gasfeld in Höhe von 730 Millionen Euro noch am gesprächigsten.

Nigerianische Anti-Korruptionsgruppen warfen der Regierung von Präsident Goodluck Jonathan derweil vor, die Untersuchungsergebnisse öffentlich schlecht zu machen, anstatt gegen die aufgezeigten Betrügereien vorzugehen. Jonathan hatte die Kommission im Februar dieses Jahres selbst einberufen, nachdem heftige Proteste gegen die Abschaffung von Treibstoffsubventionen das Land lahm gelegt hatten. Viele Nigerianer, für die die Korruption im Ölgeschäft ein offenes Geheimnis ist, sahen in den verbilligten Benzinpreisen ihren einzigen Nutzen im Ölreichtum des Landes. Der Präsident versicherte seinerzeit, die gewonnenen Ersparnisse aus den Subventionsstreichungen in die marode Infrastruktur des bevölkerungsreichsten afrikanischen Staates zu stecken, die Untersuchungskommission sollte als Beleg für die neue Transparenz dienen. Mit teilweise wiedereingeführten Subventionen beruhigte sich die Lage dann. Doch das Feigenblatt Untersuchungskommission ist dem Präsidenten jetzt über den Kopf gewachsen und dürfte ihm auch politischen Ärger bescheren, da der Bericht die Führung der einflussreichen Streitkräfte mit dem großangelegten Öldiebstahl im Niger-Delta in Verbindung bringt.

Nigeria kommt damit nicht zur Ruhe. Erst am Sonntag und Dienstag hatten zwei Anschläge der im vorwiegend muslimischen Norden operierenden Terror-Organisation Boko Haram insgesamt 19 Todesopfer gefordert. Der von Korruption und Flügelkämpfen zerrüttete Staat scheint nicht in der Lage, die von extremer Armut befeuerten Konflikte zu lösen und könnte schon bald vor neuen Massenprotesten der Zivilgesellschaft stehen. Die Mitglieder der Treibstoff- und Gasarbeiter Gewerkschaft NUPENG bestreiken seit Wochenbeginn bereits etliche Shell-Standorte im Land, um gegen prekäre Arbeitsverhältnisse und für bessere Arbeitsbedingungen zu protestieren. Der aufkommende Korruptionsskandal dürfte dabei weder dem Konzern noch der Regierung helfen.

Erschienen am 28. November 2012 in junge Welt.