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Revolution in der Wüste

6. März 2012 – 07:49

Ein privates Naturreservat in Namibia wird zum Modell für nachhaltiges Wirtschaften

Der Losberg, der mit knapp 2000 Metern Höhe das 172 000 Hektar große NamibRand Nature Reserve überragt, strahlt noch stahlblaue Kälte aus. Die Fläche davor ist bereits wohlig warm, rapide steigt die Sonne höher, die Kühle der Nacht weicht der Hitze des Tages. Eine kleine Herde Spießböcke trottet gemächlich über den Dünenrücken, rupft ein paar Grashalme aus dem feinen, roten Sand und starrt dann gelassen in die Kameras der Besucher. Auch die Zebras äugen mit ein paar Metern Abstand neugierig durch die offene Eingangstür in den Konferenzraum, auf der die Parkmacher gerade ihr Nachhaltigkeitskonzept erklären.Das Camp ist nicht umzäunt, die Tiere haben sich an harmlose Besucher gewöhnt.

Dabei ist es keine 30 Jahre her, dass das Wild hier erbarmungslos gejagt wurde. Die Schafzucht im Westen Namibias lag am Boden, die Farmer verkauften Biltong, getrocknetes Wildfleisch, um zu überleben. Sie schnitten Löcher in den Zaun zum angrenzenden Namib-Naukluft Nationalpark und ließen das ausgehungerte Wild auf der Suche nach Wasser und Futter in Reusen ähnliche Drahtfallen laufen, die zum Ende hin immer enger wurden.

Die Zeiten sind vorbei. „Ein Modell privater Initiative zum Erhalt der Natur“, beschreibt heute das Eingangsschild zum NamibRand Nature Reserve ohne Übertreibung die Reservat gewordene Vision, die Gründer Albi Brückner 1992 anschob. NamibRand ist inzwischen aber auch Vorreiter für soziale Entwicklung durch privaten Naturschutz im südlichen Afrika – ein Geschäftsmodell, das die Welt verbessern will. Ende 2011 gab es dafür von der Jochen Zeitz Stiftung die Zertifizierung als Global Ecosphere Retreat.

Zeitz, ehemaliger Puma-Chef und inzwischen in der Pariser Zentrale des Mutterkonzerns PPR für das Ressort Nachhaltigkeit zuständig, ist selbst nach Namibia gekommen, um an diesem Februarmorgen eine Solaranlage einzuweihen. Nirgendwo wäre sie besser platziert als hier, wo die Sonne Tag für Tag mit unbarmherziger Kraft Gräser ausbleicht und Sanddünen ausdörrt. Es ist ein unwirtlicher und doch vereinnahmender Flecken Erde und auch der hochaufgeschossene Spitzen-Manager hat ein Faible für die Reize der Wüste. „Die Weite ist atemberaubend“, schwärmt er später und während er Fotos von grasenden Antilopen und Sonnenuntergängen schießt, wirkt der einst mit 30 Jahren jüngste Vorstandsvorsitzende eines DAX notierten Unternehmens wie ein normaler Tourist. Doch Zeitz, inzwischen 48 Jahre alt und Gründer seiner eigenen Stiftung für nachhaltigen Tourismus, ist mehr als ein teilnahmsloser Zuschauer, der Material für die Urlaubs-Slideshow auf dem heimischen Familiensofa sammelt. Der gebürtige Mannheimer ist Mitglied des von der Bundesregierung berufenen Rates für Nachhaltige Entwicklung, unter seiner Regie hat Puma als erstes Unternehmen weltweit die sozialen und ökologischen Kosten der eigenen Produktionskette ausgewiesen. „Wir messen ja nunmal unser Geschäft in Werten, in Euro und Cent, und die Übersetzung der Umwelt auf Werte soll in keinster Weise die echte Werthaltigkeit der Natur vermonetarisieren sondern visualisieren, welche Auswirkungen Wirtschaften auf die Umwelt hat und welche enormen Leistungen unsere Natur uns täglich gibt“, erklärt er seinen Ansatz. Das klingt technokratisch, im Prinzip fordert Zeitz aber nicht weniger als eine marktwirtschaftliche Revolution: „Wir müssen dahin kommen, dass wir diese Themen nicht negieren sondern automatisch in unserm Kalkül mit berücksichtigen.“ Der Tourismus soll dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Zehn Destinationen weltweit hat die Jochen-Zeitz-Stiftung deshalb als Global Ecosphere Retreat – also einem Rückzugsraum für die Natur – ausgewählt. Sie sollen wesentlich mehr sein als ein weiteres Öko-Siegel, Pionier-Unternehmen eines neuen Wirtschaftens, kein Greenwashing. „Es gibt viele, die glauben sie wären mit einem Solarpanel, das ein bisschen Heißwasser erzeugt, schon nachhaltig“, sagt Zeitz.

NamibRand hat in der Tat mehr zu bieten. „Als ich hier 1984 das erste Stück Land kaufe, haben die Leute mich für verrückt erklärt“, erzählt Albi Brückner, Gründervater des Reservats. „Meine Tochter, die immer sehr geradeaus ist, hat es dann Sandgat – also Sandkuhle getauft“, plaudert der 81-Jährige heute mit sichtlicher Freude. Damals in den 80ern dürfte der Frohsinn wesentlich verhaltener gewesen sein. Die Karakul-Industrie lag am Boden und die Schafe verhungerten nach Jahren der Dürre am Rande der ältesten Wüste der Welt. Der Deutsch-Namibier in zweiter Generation wollte das Land, das überhaupt erst nach dem Zweiten Weltkrieg als magere Belohnung an südafrikanische Soldaten der Alliierten vergeben worden war, in seiner stillen, weiten Schönheit erhalten, die die verarmten Farmer längst nicht mehr sahen. Die Idee, mit der Fläche etwas anzufangen, den Tourismus aufzubauen, kam Brückner, der sein Vermögen als Maschinenbau-Industrieller in der Hauptstadt Windhuk verdient hat, erst später. Ganz zu Anfang versuchte er sich gar mit einer Jagd-Farm, „aber das gab ständig Krach“, wie er heute schmunzelnd zugibt. „Da kamen dann Touristen vorbei und auf dem Bakkie lag ein Gemsbock und das Blut tropfte runter. Da kriegten die zu viel“, erzählt er sichtlich erheitert vom unglücklichen Zusammentreffen der Urlauber mit der erlegten Beute auf dem Pritschenwagen. Die Anekdoten sind noch gar nicht so lange her und wirken doch wie aus einer völlig anderen Epoche.

„Wir mussten uns entscheiden, was wir tun – und wir haben uns richtig entschieden“, sagt Brückner heute über diese Zeit. Der Losberg in seinem Rücken strahlt inzwischen glutrot. Vor der Traumkulisse der untergehenden Sonne steht der rüstige, kräftige Naturschützer nun mit dem drahtigen Manager Zeitz in „seinen“ Dünen, hier der Planer aus dem Weltkonzern, dort der patriotische Naturliebhaber, der erst mit der Unabhängigkeit Namibias den Tourismus für sich entdeckte – und doch eint beide ein Ziel. 1992 gründete Brückner nach einigen Farmzukäufen NamibRand, inzwischen mit sieben Gesellschaftern und einer Fläche doppelt so groß wie Berlin eines der größten privaten Naturreservate des südlichen Afrikas. 2000 Kilometer Farmzäune sind seitdem verschwunden und hunderte über das ganze Gelände verstreute Dieselfässer der Vorbesitzer entsorgt. Die Tiere bewegen sich frei über ursprüngliches Land. Von den Dünenspitzen am Rande des Reservats lässt sich entlang der Grenzzäune deutlich der Unterschied zwischen den natürlichen, mehrjährigen Dünengräsern innerhalb des Schutzgebiets und den überweideten Flächen außerhalb erkennen.

Doch um die Natur nachhaltig zu erhalten, glaubt Brückners Sohn Stephan, muss sie für die Menschen vor Ort auch von Wert sein und Gewinn bringen. „Land in Afrika ist ein begehrtes Gut, und wenn man ein riesiges Stück Land hat, weil’s Spaß macht oder man die Natur schützen will, das reicht einfach nicht. Das Land muss was erwirtschaften, es muss Arbeitsplätze schaffen, es muss ein ökonomischer Nutzen entstehen.“ Brückner Junior hat dafür 1995 die Wolwedans Collection gegründet, eine kleine Selektion luxuriöser Zelt-Lodges, die den Park auch wirtschaftlich nachhaltig macht – ein wesentliches Kriterium für die Zertifizierung durch die Zeitz-Stiftung. Die hauseigene Desert Academy bildet junge Namibier zu Hotelfachpersonal aus, das ebenfalls von Brückner gegründete Namibian Institute of Culinary Education ist die angesehenste Küchenschule im ganzen Land, der Lehrplan mit der Regierung gemeinsam entworfen und abgestimmt. Dazu kommt ein Naturbildungszentrum, das vorrangig Schulklassen in einwöchigen Kursen im Umgang mit ihrer Umwelt und den gerade im Wüstenland Namibia so raren natürlichen Ressourcen wie Brennstoff und Wasser vertraut macht – für arme Schulen kostenlos, mitten im Luxus-Naturreservat.

Das Geld bringen die Touristen mit, größtenteils aus Deutschland, Frankreich oder den Benelux-Ländern. Für die perfekte Ruhe der Wüste und einzigartig natürliche Begegnungen mit tanzenden Straußenvögeln, jagenden Hyänen oder lauernden Leoparden zahlen die Gäste in den exklusiven Camps ab 250 Euro – pro Person und Nacht. „No money, no honey“, sagt Stephan Brückner, „wenn du kein Geld verdienst, kannst du nichts bewegen“. Umgerechnet eine Million Euro hat sein Lodge-Betrieb bisher für das umgebende, aber strukturell unabhängige Naturreservat erwirtschaftet, die Kosten für Ausbildungsprogramme und umweltfreundlichen Tourismusbetrieb nicht mitgerechnet. Eine Dividende haben die Teilhaber in all den Jahren noch nie gesehen. „Wenn man ins Gras beißt mit einem Riesenvermögen, dann hinterlässt man kein Erbe“, sagt der 44-Jährige drastisch. Zeitz, sein Mannheimer Bruder im Geiste, geht gar davon aus, dass das nachhaltige Wirtschaften zum führenden Modell wird: „Es sollte irgendwann ein Muss für alle Unternehmen und Branchen werden. Sei es gesetzlich, weil es ein Anspruch ist, den ein Land beispielsweise an den Tourismus stellt, sei es, weil Ressourcen reduziert werden und damit das Risiko zu groß ist, sich dem nicht anzuschließen, oder eben aus eigener Überzeugung.“ Sollte er recht behalten, wäre es wohl die am nüchternsten angekündigte Revolution der Geschichte – mit Folgen nicht nur für die Reisebranche. „Es geht hier nicht darum, dass wir uns die Taschen vollstopfen und Touristen eine tolle Zeit geben, sondern es geht um sehr viel mehr“, sagt Stephan Brückner nachdenklich. „Das alte kapitalistische Modell ist ja offensichtlich am Kippen, es funktioniert einfach nicht und irgendwo muss wahrscheinlich ein goldener Mittelweg gefunden werden – vielleicht kann man das hier so ein Bisschen vorleben.“

Erschienen am 6. März 2012 in der Berliner Zeitung.