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Stürmische Küste, geschütztes Land: Namibias Wüsten sollen leben

7. Februar 2012 – 09:42

Seit einem Jahr ist Namibias Atlantikküste durchgängig durch Nationalparks geschützt. Ein ambitioniertes Projekt in einer extrem trockenen Gegend: Zwischen der angolanischen Grenze im Norden und der südafrikanischen im Süden erstreckt sich in einem 50 bis 160 Kilometer breiten Streifen die Namib, die älteste Wüste der Welt. „Der Ort, an dem Nichts ist“, wie die Nama das karge Land nannten, liefert trotz seiner Kargheit verblüffende Naturschätze für Entdeckungsreisende.

Es ist ein diesiger Morgen, vereinzelte Nebelschwaden wehen noch über die weite Fläche aus Lehm und Stein nördlich des kleinen Ferien- und Fischerdorfs Henties Bay. Mit dem Wind kriecht die klamme Kälte bis unter die dicke Ski-Jacke und außer einer Gruppe Springböcken, die auf der Flucht immer wieder in den hellen Himmel am Horizont springen, bietet die Namib im Nordwesten Namibias auf den ersten Blick wenig erwärmendes. „Das ist wahrscheinlich der kälteste Tag, an dem ich je unterwegs war“, gibt Rolly Thompson zu, scheucht seine Gäste aber trotzdem immer wieder aus dem wohl beheiztem Geländewagen. Der 73-jährige Touristenführer ist auf der Suche nach der Corolla-Spinne, einem kleinen Insekt, das seinen Höhleneingang mit kreisrund angeordneten Kieselsteinchen dekoriert und in der Umgebung Fäden spannt, um vorbeilaufende Ameisen auch aus dem Bau heraus wahrzunehmen. Willkommen im Miniatur-Wunderland Dorob Nationalpark.

Der im April offiziell eröffnete Park weiß aber auch mit Größe zu beeindrucken: Er ist das letzte Verbindungsstück zwischen dem Skelettküste Nationalpark und dem Namib-Naukluft Nationalpark. Gemeinsam mit dem Sperrgebiet Nationalpark in den Diamantengebieten im Süden steht entlang des gesamten, 1572 Kilometer langen Küstenstreifens damit ein Gebiet von 107 540 Quadratkilometern unter Schutz. Namib-Skelettküste Nationalpark soll das Gesamtkunstwerk heißen, der größte Nationalpark Afrikas wird aber bis auf weiteres noch in den vier Einzeleinheiten verwaltet. Wer über die schnurrgeraden Salt Roads an der Skelettküste brettert, jene mit Meerwasser verdichtete Lehmstraßen, die im Nebel tückisch und schmierig werden können, dem erschließt sich der Naturschutzeifer der Namibier zunächst nicht unbedingt. Der Name des neuen Nationalparks scheint die Gegend ausreichend zu beschreiben: Dorob ist der Sprache der Nama entlehnt und steht für „trockenes Land“.

Der geländegängige Minibus stoppt an einem kegelförmigen Hügel aus Felsgeröll, der als einzige Erhebung weit und breit aus der Ebene ragt. Thompson wirkt mit seinem gepflegten bleichweißem Bart, der übergroßen Sonnenbrille und dem beigen Krempen-Hut wie ein englischer Gentleman auf Expeditionsreise, allerdings einer, der sich bereits bestens auskennt. Mit einem Stein in der Hand klimpert er ein Liedchen auf den metallisch klingenden Felsen und erzählt, dass die Afrikaaner die freistehenden Hügel „Koppie Alleen“ nennen – einsame Gipfel. Eigentlich treffend, doch ganz so „alleen“ ist „Koppie“ gar nicht: An seinem Hang wächst eine Pflanze, die mit ihrer Schönheit völlig deplatziert wirkt. Kleine, flauschige Blätter, von einem silbrigen Netzschleier umgeben, dazu schneeweiße Blüten, deren Kern wahlweise in Magenta oder Orange leuchtet – ein Südwester Edelweiß. „Die haben wir seit Jahren nicht gefunden, sie brauchen etwas Feuchtigkeit“, freut sich Thompson. In diesem Jahr hat es mal wieder geregnet – und der trockene Nationalpark offenbart seinen Reiz. Rote Glockenblumen schließen sich an, dann tiefer im Inland dichte Grasflächen und Talerbüsche, die ihren Namen von den fast kreisrunden, fleischigen Blättern haben. In guten Jahren laben sich daran die Springböcke und Oryx-Antilopen. Dass es hier einmal mehr Wasser gegeben haben muss, deutet eine verlassene Damara-Siedlung an, von der nur noch die prächtigen, dunkelroten Felsmalereien und ein paar Steinkreise – vermutlich die steinernen Fundamente der Rundhütten – erhalten sind. Durch das unübersichtliche Gewirr der kaum erkennbaren Schotterpisten, vorbei an jahrtausendealten Welwitschias – der mächtigen, windzerzausten Nationalpflanze Namibias – und weit rankenden Bittermelonen-Feldern, die selbst das Wild in der Regel verschmäht, geht die Entdeckungsreise ihrem Ende entgegen. „Wenn man hier draußen so steht, können die Gedanken wandern“, sagt einer der Gäste plötzlich unverhofft in die überwältigende Stille. Wie wahr. Menschen können sich dort allerdings auch verlaufen. Der Park ist noch nahezu unerschlossen, es gibt nur einen einzigen Wegweiser und der zeugt lediglich vom trockenen Humor der Afrikaaner. Ein doppelseitiger Pfeil ist darauf zu sehen mit dem Hinweis „Moer Toe“ – zu Deutsch: Fahr zur Hölle. Der jüngste Fall in dem der Witz beinahe bitterer Ernst geworden wäre, liegt nur ein Jahr zurück. Touristen waren mit ihrem Geländewagen auf eigene Faust tief in die Wüste vorgedrungen und auf einem Irrweg schließlich mit leerem Tank liegen geblieben. „Als man sie fand, hatten sie kaum noch Wasser“ erzählt der ansonsten stets zu einem trockenen Witz aufgelegte Thompson, erstmals an diesem Tag mit wirklich ernster Miene.

Ganz so bedrohlich geht es im südlichen Teil des Dorob Nationalparks nicht zu, die Sandpisten durch die Dünen-Landschaft zwischen Swakopmund und Walvis Bay dürfen ohnehin nur von den Tourguides befahren werden und davon gibt es inzwischen so viele, dass Irrgänger beste Chancen hätten, rechtzeitig entdeckt zu werden. Die beiden bedeutendsten Küstenstädte des Landes haben eine beeindruckende Infrastruktur für den Tourismus geschaffen, die Einheimischen zieht es jeden Sommer zum Zelten und Angeln an die Strände, die internationalen Gäste kommen wegen der schroffen Skelettküste mit ihren angespülten Schiffswracks – und immer häufiger auch um die Wüste zu erkunden.

Christopher Nel ist einer der Pioniere des ökologisch orientierten Dünen-Tourismus. Fünf Stunden lang erspäht er Chamäleons, gräbt Geckos und Räderspinnen aus dem Sand oder stöbert scheue Sandvipern anhand ihrer unscheinbaren Spuren auf. „Die Tropfen sind feiner, die Tiere sind kleiner“, bringt Nel die Zusammenhänge des Ökosystems der Küstendünen auf den Punkt. Finden will er sie trotzdem und springt dafür immer wieder plötzlich aus seinem Jeep, um einer Fährte nachzugehen. Seine Gäste sitzen nie länger als 10 Minuten still, selbst Kinder kommen während des kurzlebigen Programms voll auf ihre Kosten – und wenn der Biologie-Input doch einmal überhandnimmt, bleiben den Kleinen ja noch die über 100 Meter Dünen als riesiger Sandkasten. Eine kurze Warnung gibt es aber mit auf den Weg: „Wenn ihr über die Dünen lauft, sind da immer Augen, die euch auf den Hintern gucken!“

Nel kämpft gegen das Image der Küstendünen als tote Sandberge an. Er erklärt, wie der Wind nährstoffreiche Biomasse aus dem Inland in die Wüste trägt und der stetige Morgennebel die nötige Flüssigkeit zu diesem trockenen Mix liefert – nur 10mm des jährlichen Niederschlags sind Regen. Der 42-jährige Familienvater liebt den Lebensraum Wüste und kämpft für den Erhalt seines einzigartigen Arbeitsplatzes. Der bisherige Hauptfeind: Quadbike-Fahrer. Die vierrädrigen Motorräder sind beliebte Action-Spielzeuge für Erwachsene, mit verheerenden Folgen: „Die Namib ist die am meisten zerstörte Wüste der Welt“, sagt Nel. 1000 Fotos habe er gemacht, um das zu belegen. Als die Politiker im fernen Windhuk ihm nicht glauben wollten, organisierte er ein Flugzeug und nahm eine Delegation mit auf einen Panorama-Flug. Die Aufnahmen sind verblüffend und erschreckend zugleich: Selbst alte Ochsenwagen-Spuren der ersten Siedler sind in den sensiblen Flechtenfeldern zwischen den Dünen noch klar zu erkennen, daneben die ewig wiederkehrenden Schleifen der Quads. „Ich möchte, dass Sie mich verstehen“, lässt er auch seine Besuchergruppe deutlich wissen: „Ich hasse Quadbikes, sie haben unser Land zerstört. Reiche, weiße Männer haben dieses Land kaputt gemacht.“

Die Namib braucht Schutz, denn das trockene Paradies ist bedroht. Das wird jedem deutlich, der sich ihr ein paar Tage lang näher widmet. „Der National Park sollte helfen“, sagt Nel vorsichtig, wartet aber noch auf Taten. „Sie müssen jetzt nur jemanden erwischen und ein Exempel statuieren, dann wäre es vollbracht“, fordert er die Parkbehörde zum Durchgreifen gegen Quad-Fahrer auf. Doch das ist nicht das einzige Problem. Rolly Thompson schaut den Springböcken hinterher, wie sie weit vorm Auto mit ihren typischen Schausprüngen immer wieder senkrecht in die Luft gehen und dann rasant gen Horizont entschwinden. Die Szene wirkt idyllisch, ist es aber nicht. „Das zeigt mir, dass hier immer noch illegal gejagt wird, vermutlich aus Autos“, sagt Rolly traurig. Sonst würden die Tiere nicht so früh fliehen.

Veröffentlicht über dpa am 7. Februar 2012, erschienen unter anderem auf Spiegel Online, Süddeutsche.de und bei Manager Magazin Online.