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Tour durch die Townships

20. Juni 2010 – 14:08

SĂŒdafrikas Armenviertel öffnen sich fĂŒr Touristen. Wer sie wirklich kennenlernen will, sollte zu Fuß gehen.

Es ist ein sonniger Wintertag, so warm, dass es sich eher wie FrĂŒhling anfĂŒhlt. Die Schuhe hinterlassen AbdrĂŒcke im feinen Sand. Am Horizont ragen die Hotels der Strandpromenade in den blauen Himmel. Port Elizabeth, die im Beinamen auch als Windy City deklarierte Millionenstadt am Indischen Ozean, zeigt sich von ihrer freundlichen Seite. Doch um sich an den Strand zu legen, ist das GrĂŒppchen Touristen, das sich hier auf der DĂŒne versammelt hat, nicht gekommen. Zu ihren FĂŒĂŸen liegt ringsum das Walmer Township, eines der Ă€rmsten und verrufensten Viertel der Nelson-Mandela-Metropole. Bei einem gefĂŒhrten Rundgang lernen die GĂ€ste Geschichte und Kultur des Townships kennen.

„Diese sandige Gegend hier war frĂŒher ein TruppenĂŒbungsplatz der SADF“, erzĂ€hlt Lulama Stout, der Tourguide. Die SADF war die fĂŒr ihre brutalen ÜberfĂ€lle auf die Schwarzen-Siedlungen berĂŒchtigte Armee des Apartheidstaats. Das Township gab es auch damals schon, in direkter Nachbarschaft. Nach dem Ende der Apartheid hat es sich auf das ehemalige ArmeegelĂ€nde ausgedehnt. Zwischen 50 000 und 100 000 Menschen leben verschiedenen SchĂ€tzungen zufolge heute hier. Aktuelle, offizielle Zahlen gibt es nicht.

Dass Gqebera, wie Walmer Township auf Xhosa, der Sprache der Mehrheit seiner Einwohner genannt wird, ĂŒberhaupt noch existiert, grenzt an ein Wunder. Nach den Gesetzen der Apartheid-Regierung war ganz Walmer als „weißes“ Land deklariert worden, das Township sollte gerĂ€umt und niedergewalzt werden. Doch die Bewohner wussten das mit zĂ€hem Widerstand zu verhindern und hatten GlĂŒck, auch im nahegelegenen „weißen“ Stadtteil Walmer einige FĂŒrsprecher zu haben, die bei der Stadtverwaltung intervenierten.

Über die bewegte Geschichte seines inzwischen ĂŒber 100 Jahre alten Stadtteils erzĂ€hlt auch Stout am liebsten. Am Fuße eines weiteren SandhĂŒgels zeigt er, von wo die WiderstandskĂ€mpfer dort oben einst ihre Granaten auf die anrĂŒckenden Truppen des Regimes feuerten. Seine FĂŒhrung ist mit solchen, nicht selten martialischen Anekdoten gespickt. Einmal, so berichtet Stout, habe er sogar mitgeholfen, in die Straße vor seinem Elternhaus ein großes Loch zu graben. Das hĂ€tten sie dann mit Ästen und Gras abgedeckt, um bei der anstehenden Armee-Razzia einen der gepanzerten Truppentransporter in die Falle zu locken. Auch er selbst habe wĂ€hrend des Kampfes Molotov-Cocktails geworfen, sagt er. Stout war damals neun Jahre alt.

Die Touristen wirken betroffen bei diesen Geschichten, einige sind beschĂ€mt von der krassen Armut, die in einigen Teilen des Townships noch immer acht- bis zehnköpfige Familien in Zwölf-Quadratmeter-HĂŒtten leben lĂ€sst. Und die GĂ€ste wirken geschockt von der gewalttĂ€tigen Vergangenheit des Townships, die so gar nicht zur sonnigen AtmosphĂ€re des Jetzt passen will. Da kommen wildfremde MĂ€nner auf die Gruppe zu, schĂŒtteln jedem der „uMlungus“ – wie die Weißen bei den Xhosa heißen – die Hand und stellen sich vor. Das Ritual, so scheint es, darf nicht enden, bevor auch der letzte Tourist begriffen hat, wie man beim Auflösen des Handschlags ein Schnippen mit den Fingern erzeugt.

Die kulturelle Lehrstunde geht aber noch weiter. Stout erklĂ€rt die Bedeutung der iGxanti, jener mit Kuh- und Buschbock-Hörnern bestĂŒckten Holzpfosten die vor beinahe jedem Haus im Township stehen und böse Geister auf Abstand halten sollen und schaut wann immer möglich bei traditionellen Festen in der Nachbarschaft vorbei, um die Besucher von dem selbstgebrauten, dickflĂŒssigen Maisbier der Xhosa probieren zu lassen.  „Wir wollen, dass die Leute tatsĂ€chlich ein GefĂŒhl fĂŒr das Township bekommen. Sie sollen die Freundlichkeit und Offenheit unserer Leute erleben und unsere Kultur kennen lernen.“

Mit seinem Freund Thobani Noqoli hat er Abafetu Tours gegrĂŒndet. „Gute Freunde“ heißt Abafetu auf Xhosa und so wollen die beiden auch rĂŒberkommen. Doch viel Kundschaft gibt es nicht, es mangelt am Marketing und so arbeitet Stout unter der Woche beim Straßenbau. Wenn er GĂ€ste hat, nimmt er sich frei. Wichtig ist ihm, immer zu Fuß unterwegs zu sein und die Touristen nicht wie viele andere Anbieter mit dem Bus durch das Township zu karren. „Hinter den Scheiben fĂŒhlt man den ‚Vibe‘ des Townships nicht“, sagt er. „Wir wollen den Geist des uBuntu, der Mitmenschlichkeit, fördern und dazu braucht es Respekt fĂŒreinander.“ Abneigungen der anderen Township-Bewohner gegen die Touristen gĂ€be es keine. Im Gegenteil: „Es ist ein gutes GefĂŒhl, Menschen mit anderer Hautfarbe hier herumlaufen zu sehen, die Leute sagen dann, dass wir ein demokratisches Land und die Menschen wieder vereint sind.“

Ganz Ă€hnlich sieht es auch Nomabaso Bedeshe, Kuratorin des mehrfach preisgekrönten Red Location Museums, das das Erbe des Kampfes gegen die Apartheid ganz bewusst in New Brighton, einem der Ă€ltesten Townships von Port Elizabeth aufrecht erhĂ€lt. „Zum einen bringen die Touristen den GeschĂ€ften und Imbissen hier Umsatz und dann lernen sie auch noch unsere Kultur kennen  – sie kosten, was wir Schwarzen essen und sie erleben unseren Alltag.“

Das schafft VerstĂ€ndnis. Doc h wer das Township verstehen will, muss auch eine der zahllosen Kneipen besuchen. Zum Ende des Rundgangs nimmt Stout seine Gruppe noch auf ein Bier mit zu Z’s, einer der etwas sortierteren Tavernen. Eine Mischung aus Pop und Jazz knarzt hier aus altersschwachen Lautsprechern, je nachdem wonach es demjenigen beliebt, der die Jukebox mit umgerechnet zehn Cent fĂŒttert. Das Bier kommt in Dreiviertel-Liter-Flaschen und die fast reine MĂ€nnerrunde löchert die uMlungus mit Fragen zu deren Herkunft und Leben. Auch ein Spiel am schrĂ€gen Billardtisch ist noch drin. Die Touristen werden hier selbst zur Attraktion und sind doch irgendwie Teil der Runde. Manche weiße SĂŒdafrikaner sollten auch mal eine Township-Tour mitmachen, sagt einer der deutschen GĂ€ste. Es wĂŒrde der VerstĂ€ndigung sicherlich nĂŒtzen.

Erschienen am 20.6.2010 auf ZEIT online.