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Von Wilderern zu Tierschützern

6. Dezember 2011 – 10:02

Namibias Wüsten-Nashörnern auf der Spur

Martin Nawaseb erzählt auch die groteskesten Geschichten so ruhig und unaufgeregt, wie andere vom Kaffeetrinken bei den Großeltern berichten. Der 38-Jährige ist Teamleiter einer drei-köpfigen Nashorn-Forschungsgruppe in der Namib, der ältesten Wüste der Welt. Kleiner dürfen die Einheiten nicht sein, denn die Tiere sind gefährlich. Von den beiden afrikanischen Nashornarten ist das Spitzmaulnashorn zwar das kleinere, doch gleichzeitig auch das aggressivere. Die Tiere sind extrem kurzsichtig, hören und riechen aber sehr gut. Fühlen sie sich bedroht, rennen sie weg – oder gehen mit dem Horn voraus zum Angriff über. Letzteres kann für Menschen tödlich enden, doch Nawaseb scheint das nicht zu beeindrucken. „Ja, das letzte Mal vor zwei Wochen“, antwortet er gelassen auf die Frage, ob er jemals vor seinen Forschungsobjekten fliehen musste. Den drei Touristen bleibt beinahe der Mittagssnack im Halse stecken. Sie waren gerade mit ihm unterwegs, zu Fuß, unbewaffnet, auf den Spuren der größten noch freilebenden Nashorn-Population der Welt.

150 der störrischen Kolosse bewegen sich heute wieder im Nordwesten Namibias, überwacht und untersucht vom Save the Rhino Trust (SRT), Nawasebs Arbeitgeber. Der Tierschutzorganisation verdanken die Tiere ihr Überleben. Vernichtende Dürreperioden hatten den einheimischen Herero, Himba und Damara, Vieh und Nahrungsgrundlagen genommen, als von den 70er Jahren an gleichzeitig Schmuggler in die Gegend kamen und einfache Hilfe anboten: Geld und Essen für Hörner und Elfenbein. „Die Damara jagten früher zur Selbstversorgung, aber nie kommerziell und die Himba und Herero waren Kulturvölker, die Getreide anbauten, Vieh hielten und stolz darauf waren, nicht jagen zu müssen“, erklärt Christiaan Bakkes, für den Lodge-Betreiber Wilderness Safaris Generalmanager in der nördlichen Namib. Der gebürtige Südafrikaner ist eines der letzten Originale in der stromlinienförmig durchgestylten Welt der namibischen Luxus-Lodges. Seine langen, blonden Haare wallen unterm Base-Cap hervor, seinen linken Unterarm hat er vor Jahren im Krüger-Nationalpark in Südafrika an ein Krokodil verloren. Das Tier ließ er leben und auch auf die einheimischen Wilderer von einst hat er keinen Groll. „Das waren keine Kriminellen, die haben lediglich die Möglichkeit ergriffen, um das Überleben ihrer Familien zu sichern“, weiß Bakkes.

Vermutlich gibt es die an das harsche Wüstenklima angepassten Nashörner nur noch, weil die Naturschützer genau dieses Dilemma bereits in den 80ern erkannt haben. Am Wendepunkt streiften nur noch knapp 50 Nashörner durch die Wüste. SRT stellte schließlich Wilderer als Wildhüter ein und bot den Menschen eine nachhaltige Alternative zum kurzlebigen Profit des Nashorn-Gemetzels. Seitdem hat sich der Nashorn-Bestand verdreifacht – und mit den Tieren kamen die Touristen. Die Menschen verstanden, welchen Wert die Nashörner lebend hatten und sie nahmen ihren Schutz selbst in die Hand. „Das ganze wurde eine Art Gruppenzwang“, beschreibt Chris Weaver vom World Wildlife Fund (WWF) in Namibia die Motivation der Einheimischen: „Die Gemeinschaft will etwas von den Nashörnern haben und wenn ein Einzelner vom Wildern profitiert, verliert die Gemeinschaft.“ Der Naturschutzgedanke verfestigte sich so über die Jahre in den Köpfen – nicht zum Selbstzweck sondern aus ökonomischer Vernunft. „Heute arbeiten die Kinder der alten Wilderer bei uns als Kellner, Wild-Führer oder sogar Manager“, erzählt Bakkes.

„Wir sind die junge Generation, die von den alten Ex-Wilderern ausgebildet wurde“, bestätigt Wildhüter Nawaseb und es klingt fast wie eine Ehrung der einst Verdammten. Sie haben schließlich viel gelernt von ihren jagenden Vorvätern – wo die Dickhäuter zu finden sind beispielsweise, oder wie man sich im Ernstfall ihrer Wut entzieht. „Etliche Male mussten wir schon auf Bäume Klettern oder in einen Besenwolfsmilch-Busch springen und bellen wie ein Hund“, erklärt Nawaseb. Das schreckt die Nashörner ab – und fasziniert in Geschichtenform Besucher.

An Nawasebs Forschungsgruppe ist die Symbiose zwischen Tourismus und Tierschutz am deutlichsten erkennbar. Noch bevor die Morgensonne die Basaltfelsen der Namib in ein leuchtendes Rot taucht, steht sein Kollege Denson Tjiraso auf der Ladefläche des klapprigen Jeeps und hält Ausschau nach Nashorn-Spuren. Der eisige Fahrtwind beißt im Gesicht, die klammen Hände umklammern nur widerwillig das haltgebende Metallgeländer des Pick-ups, doch der Aufwand hat System: SRT verfügt heute über die größte Daten-Basis zu Spitzmaulnashörnern weltweit. Bewegungsmuster, Fressverhalten und Gesundheitszustand der namentlich bekannten Kolosse werden regelmäßig aufgezeichnet. Dutzende Nashörner konnten auf der Grundlage dieses Wissens-Schatz gar schon in Nationalparks umgesiedelt werden – der Lebensraum der Nashörner wächst wieder. Und die Touristen, die dick eingemummelt in Daunenjacken und Ohrenwärmer in einem zweiten, wesentlich besser gefederten Jeep folgen, finanzieren das Projekt.

Die schweren Reifen graben tiefe Furchen in das Basalt-Geröll, Überbleibsel eines riesigen, prähistorischen Sees, dessen andere Hälfte heute in Brasilien zu finden ist. Zebras, Springböcke und Oryx-Antilopen laben sich am für die Jahreszeit ungewöhnlich satten Gras. Die Namib bekommt in diesem Teil normalerweise rund 100 Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter, in diesem Jahr war es die drei- bis vierfache Menge. Selbst eine kleine Giraffe steht verunsichert im noch nicht ganz ausgetrockneten Flussbett des Achab. Von den Eltern ist nichts zu sehen. „Womöglich vom Löwen gefressen“, sagt Tjiraso. Die Natur kann in der Namib so brutal sein, wie die Wüste selbst. Doch Zeit für Sentimentalitäten hat der Späher nicht. In der sandigen Fahrspur zeichnen sich die klaren Konturen einer Nashornspur ab. Obwohl nur ein einziger Fußabdruck zu sehen ist, wissen die drei Feldforscher sofort, wo sie zu suchen haben. „95 Prozent unserer Gäste bekommen ein Nashorn zu Gesicht“, sagt Nawaseb.

Das liegt auch am perfekt geschulten Auge der Wildhüter selbst. In sechs Kilometern Entfernung macht Tjiraso das Nashorn schließlich auf einem Bergkamm aus. Für ungeübte Betrachter sieht das Tier selbst durchs Fernglas nur wie ein weiterer Besenwolfsmilch-Busch aus. Die letzten zwei Kilometer geht es nur noch zu Fuß weiter. Immer wieder scharren die drei Wildhüter mit dem Fuß eine kleine Staubwolke auf, um die Windrichtung zu bestimmen. In ihrem Rücken folgen die Touristen mit leisem, vorsichtigem Tritt, der trotzdem so scheinbar verräterisch laut ist, wie das knarzende Schleichen eines Teenagers nach einer heimlichen Disko-Nacht.

Unies, die Nashorn-Dame, ist wach. Sie stellt die blattförmigen Ohren in Richtung der Eindringlinge auf, kann aber doch nichts sehen und auch nichts riechen. Nur ein Nashorn stöbern die Forscher pro Tag auf, um die Störung so gering wie möglich zu halten. Heute sind es jedoch zwei, denn Unies hat ein Junges – und ist deswegen so wachsam. Nach ein paar Minuten traben die beiden langsam an einen ungestörteren Ruheplatz weiter. Sie haben es auch den Eindringlingen zu verdanken, dass es solche Orte für sie noch gibt.

Veröffentlicht über dpa am 6. Dezember 2011, erschienen unter anderem bei Spiegel Online.