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Wüstenelefanten muss man suchen

8. Mai 2012 – 18:52

In Afrika leben nur noch zwei Populationen der Wüstenelefanten. Um sie in Namibia frei zwischen Trockenflüssen und Farmen zu sehen, brauchen Touristen Geduld.

Elefanten können so leise auftreten, dass man sie kaum bemerkt. So ging es einer Engländerin: Vertieft in ihr Buch saß sie auf der Terrasse vor ihrem Ferienhäuschen, als nur wenige Meter neben ihr eine ganze Herde Elefanten vorbeizog. Erst ein Jungtier am Ende der Herde erschrak – und trötete so laut, dass die englische Touristin nach drinnen flüchtete. Noch immer wird diese Geschichte in der Brandberg White Lady Lodge in Namibia erzählt. Es spielt keine Rolle, dass sie schon ein paar Jahre her ist: Sie illustriert, wie sanft sich Elefanten fortbewegen können – und wie nah sie dabei der Feriensiedlung kommen. Gene Raaths erzählt tourfüllend von solchen Erlebnissen. Der 33-Jährige wuchs in Opuwo auf, einer Kleinstadt im Norden der Namib. Dort wurden die Elefanten nie ganz vertrieben, und inzwischen sichern sie sogar Raaths Einkommen.

Die Brandberg White Lady Lodge schmiegt sich an das Brandberg-Massiv im Nordwesten Namibias. Der Gipfel des Massivs, der Königsstein, ist mit 2.573 Metern der höchste Berg Namibias. An seinen Felsen haben Ureinwohner schon vor Jahrtausenden Zeichnungen von rituellen Tänzen, von der Jagd und von wilden Tieren hinterlassen. Heute gibt es kleine Farmen, Dörfer und Straßen in den weiten Ebenen der Namib-Wüste, die sich von hier bis an den Atlantik zur einst für ihre Stürme, Klippen und unerbittliche Trockenheit gefürchteten Skelettküste ausbreitet. Vor mehr als 100 Jahren hatten Großwildjäger die Elefanten der Region ausgerottet. Erst seit Mitte der 1990er Jahre sind die Tiere aus dem nördlicheren Teil der Namib, nahe der angolanischen Grenze, zurückgekommen. Rund 55 von ihnen durchstreifen wieder das Gebiet zwischen den Trockenflüssen Ugab und Huab, einer Fläche mehr als doppelt so groß wie Niedersachsen. In der kahlen, sandigen Weite wirkt die Vorstellung von Elefanten-Herden trotzdem irreal. Lediglich ein paar Erdmännchen suhlen sich auf dem Parkplatz vor der Lodge im heißen Staub.

Gene Raaths wirkt nervös, der Touristenführer telefoniert mit seinen Informanten – Arbeitern auf den Farmen der Umgebung. Doch sein Gesichtsausdruck wird mit jedem Gespräch ratloser. Normalerweise gibt die Lodge in der Trockenzeit eine Elefanten-Garantie – wer keinen Rüssel sieht, kann sein Geld zurückverlangen. Doch in diesem Jahr ist alles anders, viel zu lang war die Regenzeit. Niemand in der Gegend weiß, wo die Elefanten sind, Raaths warnt daher schon vor der Abfahrt vor einem Tag ohne Elefanten. “Das ist das Ding mit den Elefanten, die Leute sehen sie immer mal wieder, aber sie können auch ziemlich weit laufen”, erklärt er sein Dilemma. “Normalerweise wandern sie in der Trockenzeit nur den Fluss rauf und runter.” Der Ugab verläuft unterirdisch. Auf den ersten Blick erscheint er nur als eine von Bäumen gesäumte Kies-Senke inmitten der spärlich mit Büschen bewachsenen Fläche. An einigen Punkten jedoch bildet er auch in trockenen Zeiten noch Wasserstellen. Darauf sind die Elefanten normalerweise angewiesen. “Bis 1994 hatten wir hier sechs bis sieben Millimeter Niederschlag, in einer guten Saison auch mal 60 bis 70 Millimeter. Damals wuchs hier kein Gras, da waren nur trockene Felsen”, sagt Raaths. “1995 kam dann der erste richtige Regen, seitdem bekommen wir jährlich 170 bis 180 Millimeter, 2011 waren es über 500.” Die Wüste blühte auf, überall entstanden kleine Bäche – und neue Wasserstellen für die Elefanten.

Die Wüstenelefanten leben frei in dem Gebiet. In Afrika gibt es nur noch zwei Populationen, die sich an die ariden Bedingungen angepasst haben: jene in Namibia und eine weitere in Mali. Die Wüstenelefanten bilden keine eigene Art, haben sich aber deutlich sichtbar über Generationen an die harschen Bedingungen der Wüste angepasst. Die Beine sind im Verhältnis zum Körper länger als bei Elefanten in wasserreicheren Lebensräumen. Sie sind etwas leichter, haben größere Füße und können so kilometerweite Dünenlandschaften überqueren, um an Wasserstellen zu gelangen. Eine Safari hier ist keine simple Großwild-Beschau wie in den Nationalparks, sondern vielmehr eine Schatzsuche – in regenreichen Jahren mit ungewissem Ausgang.

Entlang einer breiten Schotterpiste führt uns die Suche gen Norden, an einem kleinen Gehöft hält Gene Raaths. Johnny Mbimbo ist einer derjenigen, die ihm Hinweise geben. Seit zwölf Jahren lebt der Farmer im Elefantengebiet. “Als wir hier ankamen, hatten wir Angst, aber inzwischen haben wir uns an die Elefanten gewöhnt”, sagt er über das Zusammenleben mit den Elefanten. Erst kürzlich hat er eine kleine Herde in der Nähe gesehen. Im Staub zeichnet er eine Karte aus vermuteten Laufrichtungen und Informationen vom Hörensagen. Die Jeep-Reise geht weiter über holprige Pfade ohne Wegweiser, entlang skurriler Gesteinsformationen hinab in eine karge Schlucht. Kurz vor der Talsohle liegt das Camp der Elefantenschutz-Organisation. Die Elephant Human Relations Aid (EHRA) kümmert sich um ein friedliches Nebeneinander von Elefanten und Menschen, klärt in Bildungsprogrammen über die Elefanten, ihr Verhalten und mögliche Gefahren im Zusammenleben auf. EHRA sichert Brunnen und Wassertanks mit Mauern – die Elefanten würden sie sonst auf der Suche nach Wasser zerstören und sich so den Zorn der Einheimischen zuziehen und schließlich vertrieben oder schlimmstenfalls gar illegal abgeschossen werden. Stattdessen sollen frei zugängliche Tränken die Tiere befriedigen. “Die Elefanten waren hier zuerst, es ist ihr Land – wenn wir kein Wasser in den Wasserstellen haben, wird es Zerstörung geben und das ist dann unser Fehler”, sagt Raaths. Diese Meinung findet langsam immer mehr Akzeptanz. EHRA erforscht auch die jährlichen Bewegungsmuster der Elefanten, doch die Forscher sind nicht im Camp. Immerhin, ein Arbeiter hat zwei Tage zuvor eine Herde gesehen. Ein Junges blieb im nassen Sand des Flussbettes stecken, erzählt er, mit den Rüsseln hätten die Alttiere es schließlich herausgezogen.

Der Jeep kann dem Flussbett so nicht folgen und Raaths ahnt nichts Gutes. Nahe der kleinen Wüstensiedlung Anichab gibt es schließlich die ernüchternde Gewissheit. Ein Dorfbewohner hat morgens 14 Elefanten am Rande des Trockenflusses in ein unwegsames Gebiet ohne jede Zufahrtspiste ziehen sehen. Die Herde ist außer Reichweite. Es bleiben nur ihre Spuren. Kurz vor der Querung des vom Sickerwasser immer noch sehr weichen Flussbettes warnen Verkehrsschilder vor querenden Elefanten, im Kies fällt ein breites Rohr auf. “Die Elefanten saugen dadurch mit dem Rüssel während der Trockenzeit Wasser an”, sagt Raaths. Steht es zu tief, versorgen die Alttiere die Jungen, deren Rüssel noch nicht lang genug ist.

Raaths vierjährige Tochter Tiffany erzählt stolz, sie habe erst vergangene Woche Elefanten im Camp gesehen. Heute bleibt es bei den Geschichten. Auf dem Weg zurück zur Lodge rennen vier Strauße aufgescheucht über die Ebene gen Horizont, zwei Schakale jagen im Schutz des hohen Grases. Den ersten Wüstenelefanten bekomme ich erst zwei Tage später zu Gesicht. Er steht Hunderte Kilometer nördlich unvermittelt im Bett eines namenlosen Trockenflusses.

Erschienen am 8. Mai 2012 bei ZEIT online.