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Allianz der Angst

30. April 2012 – 10:34

Südafrikas Gewerkschaftsbund steckt fest zwischen Emanzipation und Einflussverlust/ Basis ist kampfbereit

Als die 17000 Bergleute der weltgrößten Platinmine nahe der Stadt Rustenburg, 120 Kilometer nordwestlich von Johannesburg, im Januar und Februar in einen sechswöchigen wilden Streik traten, blitzte es gefährlich auf, das Damoklesschwert, das über Südafrikas Gewerkschaften schwebt. Zunächst hatten die in der Arbeitshierarchie und Gehaltsstruktur sprichwörtlich ganz unten stehenden Bohrarbeiter die Werkzeuge niedergelegt, weil der Betreiber Impala Platinum den über ihnen stehenden Minenarbeitern, Vorarbeitern mit Sprenglizenzen und Sicherheitsverantwortung, 18-prozentige Lohnerhöhungen bewilligte, die einfachen Kumpel aber auf dem unveränderten Gehaltsniveau von umgerechnet 300 bis 450 Euro versauern ließ. Der nur leidlich mit höheren Fluktuationsraten bei den Vorarbeitern verschleierte Spaltungsversuch des Konzerns, als weltweit zweitgrößter Platinproduzent ein wichtiger Akteur mit Strahlwirkung für die südafrikanische Bergbaubranche, scheiterte. Die gesamte Belegschaft solidarisierte sich mit den Bohrarbeitern und trat in den ungeschützten Streik. Das Problem für die zuständige Bergbaugewerkschaft NUM: Der Zusammenhalt der Kumpel fand nicht wegen, sondern trotz ihr statt.

Der Führung des Gewerkschaftsdachverbandes COSATU, zu dem NUM gehört, kam letztendlich nur noch die undankbare Rolle zu, die Abwehrschlacht für die Wiedereinstellung der wegen ihres illegalisierten Fernbleibens entlassenen Bergleute zu schlagen und die Kumpel zurück in die Schächte zu bewegen. Die Verhandlungen mit der Konzernleitung über die vollständige Rücknahme der Beschäftigten, höhere Löhne für alle und den Erhalt aufgebauter Bonusansprüche laufen, behindert durch Dispute mit der unabhängigen Vertretung der Bohrarbeiter, noch immer. Ein Ergebnis ist allerdings seit langem klar: COSATU hat bei der Belegschaft massiv Kredit verspielt, eine Tendenz die den Gewerkschaftsbund in den kommenden Jahren noch vermehrt beschäftigen dürfe.

Die nicht gerade gewerkschaftsfreundliche südafrikanische Presse stand in Rustenburg Gewehr bei Fuß, um die Vorwürfe der verzweifelten Arbeiter aufzunehmen. Die Betriebsräte steckten mit den Bossen unter einer Decke, sie hätten sich korrumpieren lassen und die von ihnen legal organisierten Streiks wären stets erfolglos gewesen, hieß es. Doch es sind längst nicht nur die eigenen, erstaunlich offen kommunizierten Schwächen – COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi hatte zur Gründung einer von den Gewerkschaften mit angeschobenen Anti-Korruptions-Stelle ausdrücklich auch Gewerkschafter als Ermittlungsziel erwähnt – sondern die einst stärkenden Allianzen, die die organisierte Arbeiterklasse belasten. Der heutige Schwachpunkt liegt in den frühen Wurzeln der Gründungsgeschichte. Als vereinter, starker Arm der Arbeiterklasse war der Gewerkschaftsbund 1985 gegründet worden und rasch in einer noch stärkeren Allianz mit der damals im Untergrund und Exil aktiven Befreiungsbewegung aus African National Congress (ANC) und Kommunistischer Partei Südafrikas (SACP) aufgegangen. Damals war das ein logischer und wichtiger Zusammenschluss im Kampf gegen das brutale Apartheid-Regime in Pretoria. Heute ist die aus der Allianz mit der unumstrittenen Mehrheitspartei ANC resultierende Regierungsnähe für COSATU ein zweischneidiges Schwert. Sie verleiht der Arbeiterbewegung zwar Macht und Einfluss, droht sie aber auch aufzuweichen. Cyril Ramaphosa, COSATUs Gründungsgeneralsekretär, ist vielleicht das plakativste Beispiel für die Genese dieses Netzwerks: Vom Chefsessel des Gewerkschaftsbundes wechselte er 1991, zu den Verhandlungen über das freie Südafrika auf den Stuhl des ANC-Generalsekretärs, heute sitzt er im Exekutivkomitee der Regierungspartei, leitet gleichzeitig McDonald’s Südafrika und füllt mit seiner eigenen Firma Brause für Coca Cola ab. Es ist schlicht der moralische Ausverkauf, den die Arbeiter, deren Leben nicht so süß wie Sprite und Fanta sind, bei ihren Vertretern in Politik und Gewerkschaft wittern.

COSATUs charismatischer und integrer Generalsekretär Vavi fährt gegen den Vertrauensverlust eine Spagat-Strategie zwischen deutlicher Verdammung von Werteverfall, Vetternwirtschaft und Korruption im ANC und gleichzeitiger Betonung der wichtigen Rolle genau dieses Bündnisses. COSATU organisiert Proteste wie zuletzt den Generalstreik im März, bei dem nach Gewerkschaftsangaben so viele Menschen wie noch nie nach Ende der Apartheid 1994 gegen Leiharbeit und ein umstrittenes Straßenmaut-System auf die Straße gingen, ruft aber dennoch vor jeder Wahl seine Mitglieder auf, für die Kandidaten des ANC-SACP-Bündnisses zu stimmen. Nach der neoliberalen Umwälzung der Wirtschaftspolitik Mitte der 90er Jahre, die der ANC zum Frohlocken von Internationalem Währungsfonds und Weltbank gegen die Proteste der Gewerkschaften durchdrückte, ist insbesondere das – vom ANC abgelehnte – Verbot von Leiharbeit die nächste Zerreißprobe in der Zweckallianz aus Gewerkschaften und Regierung. COSATU muss sich emanzipieren – und tut das auch, wie am starken Protest gegen das jüngst durchs Parlament gewunkene Gesetz zum Schutz von Staatsinformationen deutlich wurde, das selbst das Aufdecken von Korruptionsfällen mit langen Haftstrafen für Geheimnisverrat bedroht. Zum deutlichen Missfallen des ANC verbündet sich der Gewerkschaftsbund in politischen Fragen immer wieder mit linken und bürgerrechtlichen, außerparlamentarischen Bewegungen und Organisationen.

Die Kampfkraft der südafrikanischen Arbeiter, das zeigen die Proteste, ist enorm, dennoch wird es zum großen Bruch nicht kommen. Denn das Gros der rund zwei Millionen Gewerkschaftsmitglieder trägt gleichzeitig die Mitgliedskarte des ANC. Wenn das auch häufig nicht aus Übereinstimmung mit der Tagespolitik geschieht, so doch zumindest mit Stolz auf die eigene Bewegung, auf den Kampf gegen die Apartheid, auf die Befreiung – auch wenn sie noch lange keine wirtschaftliche war. Vavi, der sich zudem mit Spaltungen in der COSATU-Führung konfrontiert sieht, weiß um diese Abhängigkeit und er schreckt vor ihr zurück. Genauso wie niemand in der bis zum Hals in interne Grabenkämpfe verwickelte ANC-Führung es riskieren würde, den Gewerkschaftsbund mit zu drastischen Maßnahmen einheitlich gegen sich aufzubringen, so ehrfurchtsvoll ist auch keiner in der Gewerkschaftsführung bereit, den offenen Bruch mit der politischen Heimat von zwei Dritteln aller Südafrikaner zu wagen. Das Resultat ist eine Allianz der Angst, die die wirklichen Bedürfnisse der immer noch zum Großteil in prekären Verhältnissen lebenden südafrikanischen Arbeiter und der 40 Prozent Arbeitslosen nicht lösen kann. Politische Optionen hat COSATU nicht: Die SACP ist eine vom ANC längst geschluckte Hülle ihrer selbst, die größte Oppositionspartei Democratic Alliance gibt sich als neoliberal und offen gewerkschaftsfeindlich, die restlichen Parteien sind komplett bedeutungslos. Den Gewerkschaften Südafrikas bleibt nur, sich auf ihre eigenen Mitglieder zu stützen, notfalls auch in offener Abgrenzung vom ANC, ansonsten droht die Bedeutungslosigkeit.

Die Warnung ist eindeutig. Was mit einer wertlosen Gewerkschaft passiert, haben die Kumpel in Rustenburg bereits deutlich gemacht. Was der Konflikt um soziale Teilhabe und Gerechtigkeit für Südafrika bedeuten kann, wenn die Gewerkschaften ihn nicht lenken können, wurde ebenfalls klar. Drei Arbeiter starben bei den aufheizten, teils chaotischen Protesten, eine Polizeiwache ging in Flammen auf. Wird COSATU seiner Rolle nicht gerecht, droht für die Zukunft ein Flächenbrand.

Erschienen am 30. April 2012 in junge Welt.