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Aufstand für ein besseres Leben

16. November 2012 – 07:08

Südafrikas Farmarbeiter streiken für gerechtere Löhne und Perspektiven für ihre Kinder

In saftigem Grün erstrecken sich die weiten Weinfelder über den breiten Tal-Kessel des Hex Flusses, anderthalb Autostunden nordöstlich von Kapstadt. Auf den 110 Farmen rund um das Dorf De Doorns werden hauptsächlich Tafeltrauben angebaut, auch bei Touristen ist die Gegend mit ihren historischen kapholländischen Farmhäusern beliebt, doch das ländliche Idyll hat dunkle Flecken bekommen. Der Geruch von Rauch hängt in der Luft, die Fernstraße N1 ist mit Steinen, Felsbrocken und brennenden Reifen blockiert. Seit nunmehr zwei Wochen streiken die rund 16.000 Landarbeiter der Region. In ihrer Wut haben sie versucht die Felder anzustecken. 50 Hektar Weinreben fielen den Flammen bereits zum Opfer und ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht. Immer mehr Farmarbeiter legten in den vergangenen Tagen landesweit die Arbeit nieder, am Montag rief der Gewerkschaftsbund COSATU zu Solidaritätsstreiks auf. Besonders in den Weinbergen des Westkaps ist die Lage seitdem eskaliert. In Wolseley, einem Dorf 70 Kilometer westlich von De Doorns, erschoss die Polizei am Mittwoch einen streikenden Farmarbeiter, in der Kleinstadt Robertson verletzten die Einsatzkräfte einen Zeitungsfotografen mit Gummigeschossen schwer. Die Ministerpräsidentin der Provinz rief die Regierung in Pretoria in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen gar auf, die Armee in die Region zu senden. Südafrika erlebt damit die Fortsetzung der Bergarbeiterstreiks, die im August in den Platin- und Goldminen des rohstoffreichen Landes begannen. Es geht um höhere Löhne und bessere Lebensbedingungen im Land mit der weltweit höchsten Ungleichverteilung von Reichtum.

„150! Wir wollen 150 Rand am Tag“, bringt Bettie Fortuin die Forderungen der Farmarbeiter vehement auf den Punkt. Ihr Leben lang hat die 50-Jährige, die sich selbst „Tante Bettie“ nennt, auf den Farmen geschuftet – harte Arbeit, oft wesentlich länger als die vorgeschriebenen neun Stunden, nicht selten mit rassistischen Kommentaren der weißen Farmer versehen. Einen gesetzlichen Tageslohn von 69,39 Rand (6,21 Euro) oder umgerechnet 134,56 Euro im Monat bekommen die Landarbeiter dafür derzeit – abzüglich der Miete für die Arbeiterunterkünfte, Strom, Arztkosten und der Rechnung aus dem Lebensmittelladen des Farmers. „Am Ende des Tages gehst du mit 20 Rand nach Hause“, sagt einer der Farmarbeiter, der anonym bleiben will. Wie so viele ist er wegen der hohen Nebenkosten lieber in die Wellblechhüttensiedlungen am Rande des malerischen Bauerndorfs gezogen. Vier bis fünf Familien müssen sich hier eine Toilette und einen Wasserhahn teilen, eine Dusche hat keine der rostigen Behausungen. Ein paar Hühner picken am Rande der Siedlung im Müll, es stinkt nach Urin. Jugendliche laufen mit Knüppeln die Straßen auf und ab, argwöhnisch beobachtet von schwer bewaffneten Polizisten in gepanzerten Transportern.

Die Stimmung ist gereizt in De Doorns, spätestens seitdem der Bauernverband sich mit dem Verweis, er habe kein Mandat, aus den Verhandlungen zurückgezogen hat. „Es ist widerlich“, sagt der Gewerkschaftsführer Nosey Pieterse dazu nur und ruft bei einer spontanen Kundgebung auf dem verdörrten, staubigen Fußballplatz zum Weiterstreiken auf. Die Hoffnungen der Landarbeiter ruhen nun auf der ANC-geführten Regierung, die die Mindestlöhne erhöhen soll, und auf der beginnenden Saison. „Die Farmer sind auch unter Druck, wenn der Strike noch eine Woche weitergeht, verlieren sie Exportvolumen“, sagt Owen Maromo. Der ehemalige Farmarbeiter ist vor einem Monat entlassen worden, weil er sich für die Rechte seiner Kollegen einsetzte. Kein unnormaler Vorgang auf dem Land, wo nur fünf Prozent der Arbeiter überhaupt gewerkschaftlich organisiert sind. Doch das soll sich ändern.

„Genug ist genug, wir wollen diese Hungerlöhne nicht mehr, wir wollen, dass unsere Kinder auch zur Universität gehen können, darum wollen wir die 150 Rand“, sagt Bettie Fortuin aufgeregt. Ihre Tochter habe nach der Schule Sozialarbeiterin werden wollen, die Noten waren gut, doch Fortuin konnte das Geld für die Hochschulgebühren nicht aufbringen. Jetzt arbeitet sie auch auf einer Farm. Es ist auch dieser Kreislauf aus mangelnden Perspektiven und ungleichen Chancen, der die Arbeiter auf die Barrikaden bringt. „Wenn die Verantwortlichen nicht aufpassen“, warnt Maromo gar, „dann kann das hier noch viel schlimmer als Marikana werden“.

 

Chronik:

10. August: An der Platinmine Marikana bei Rustenburg gehen 3.000 Arbeiter in einen ungeschützten Streik, innerhalb einer Woche sterben 46 Menschen, 34 davon im Kugelhagel südafrikanischer Polizeikräfte. Die Streiks greifen auf fast alle Platin- und Goldproduzenten des Landes über, überall fordern die Kumpel mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen.

Oktober: Arbeiter einer Traubenfarm bei De Doorns wehren sich gegen Versuche, ihre Löhne abzusenken, nach zwei Streiks haben sie Erfolg.

1. November: In einer konzertierten Aktion legen nahezu alle Farmarbeiter der restlichen Farmen rund um De Doorns die Arbeit nieder. Sie fordern Tageslöhne von umgerechnet 13,43 Euro und bessere Arbeits- und Wohnbedingungen.

14. November: Im Dorf Wolseley erschießen Polizisten einen Arbeiter, das erste Todesopfer der Farm-Streiks.

 

Erschienen am 16. November 2012 in der Westfälischen Rundschau.