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Antilopen statt Armee-Camps

1. November 2011 – 21:24

Der Kavango Zambezi Transfrontier Park ist Afrikas jüngstes und größtes Naturschutzgebiet – und Hoffnung für eine ganze Region

Wie in einer alten, verzogenen Glasscheibe spiegelt sich die Morgensonne über dem Sambesi. Bäume, Büsche, Schilf, alles ist jetzt doppelt zu sehen – selbst die zwei Fischer, die von ihrem Einbaum Tilapia-Barschen nachstellen. Nur die Strömungskanten des mehrere hundert Meter breiten Stroms nehmen den Konturen dieses Kunstwerks die Schärfe. Im August haben Angola, Sambia, Simbabwe, Botsuana und Namibia nach jahrelangen Vorbereitungen gemeinsam die Kavango-Zambezi-Transfrontier Conservation Area (KaZa) ausrufen. Mit fast 300 000 Quadratkilometern ist es das größte Naturschutzgebiet Afrikas, doch es sind nicht die Zahlen, die hier wichtig sind. Die Touristen kommen wegen des Großwilds, das langsam aber sicher zurückkehrt – und wegen der ruhigen Einsamkeit. Eine winzige Insel im Sambesi, der den Park nahezu mittig durchfließt, diente gerade noch als Nachtlager. Es ist windstill und der feine, von der Nacht noch Kühle Sand quietscht verblüffend laut unter den nackten Füßen.

Woher die Geräusche kommen, sagt Francois Haasbroek, das wisse er nicht. Sonst kann der gebürtige Südafrikaner aber so ziemlich alles erklären, was mit dem faszinierenden Ökosystem im östlichsten Zipfel Namibias zu tun hat. Vor sieben Jahren hat er in Katima Mulilo, der Provinzhauptstadt des Caprivi-Streifens, eine kleine Lodge gegründet. Seine zwei Hausboote liefern einen Vorgeschmack auf das, was die Regierungen der fünf Anrainer-Länder des weit verzweigten Flusssystems für die Zukunft versprechen – grenzenlose Safaris durch atemberaubende Wildnis. Am Ufer des Chobe, dem Grenzfluss zwischen Namibia und Botsuana, drängeln sich die Elefanten nachmittags förmlich. Ein paar Minuten flussaufwärts, ist ein Rudel Löwen zum Trinken an der Lebensader eingekehrt. Büffel und Impalas weiden auf den Überschwemmungswiesen, Flusspferde kühlen sich im Wasser und riesige Krokodile wärmen sich an Land.  36 Nationalparks und Reservate bestehen zu ihrem Schutz schon jetzt in den fünf KaZa-Ländern. Zusammengelegt und erweitert haben sie nahezu die Größe Italiens. Die Vision ist ein gemeinsames Park-Visum für Touristen in allen fünf Staaten. Bis dahin wird freilich noch viel Wasser die mächtigen Victoria Fälle herunterstürzen, noch ist KaZa trotz der offiziellen Ausrufung vor allem eine gute Marketing-Idee – und ein Ansporn für die einheimischen Gemeinschaften.

Russell Taylor und Chris Weaver vom World Wildlife Fund (WWF) haben die Entstehung des Parks von den ersten Schritten an begleitet. „Als Chris 1993 die ersten Dörfer im Caprivi besucht hat, da haben sie ihn davon gejagt“ erinnert sich Taylor, Planungsberater für die zwischenstaatlichen Parkprojekte. „Nimm dein Wild und hau ab, wir wollen es nicht!“, bekam Weaver damals zu hören. Heute lacht er darüber. Der US-Amerikaner, Direktor von WWF-Namibia, setzt auf die Verantwortung der Menschen vor Ort, weil es für ihn keine Alternative gibt. „Wenn Wildschutzgebiete effizient geführt werden sollen, dann muss das durch die Leute geschehen, die mit den Tieren leben“, sagt er. In Namibia ist das lange nicht passiert. Das Wild war Besitz des Staates, der Lizenzen für Jagd und Safaris vergab. Die traditionellen Dorfgemeinschaften waren außen vor und hatten entsprechend wenig Interesse, Elefanten zu schützen, die ihre Felder verwüsten. Es interessierte die Einheimischen nicht, wenn Wilderer die reichen Wildvorkommen schröpften, die sie nur als Schädlinge sahen. Mitunter haben sie sogar bei der Jagd geholfen, für den eigenen Kochtopf geschossen oder für windige Geschäftemacher, die mit Elfenbein und Fellen Vermögen ergaunerten. „Diese Einstellung hat sich geändert, das Wild wird inzwischen viel mehr als gemeinschaftlicher Wert gesehen“, beschreibt Taylor den Wandel in den Köpfen. Die Menschen vor Ort verdienen über Lodge-Beteiligungen, Arbeitsplätze, Lizenzen und eigene Campingplatz-Projekte inzwischen spürbar vom Tourismus – und ohne wilde Tiere kommen keine Safari-Touristen.

Die ersten Erfolge der neuen Strategie sind längst sichtbar. Große Elefantenherden wandern wieder entlang des Kwando, einem Nebenfluss des Chobe, quer durch Namibia bis nach Angola und Sambia. Wo noch vor zwanzig Jahren Armee-Basen im Busch standen, grasen heute Antilopen über den Ruinen. Junge Löwen erobern neue Reviere, Flusspferde grunzen im dichten Schilf und überall trampeln Elefanten. 133 000 der Dickhäuter hat African Elephant Database 2007 im heutigen KaZa-Gebiet gezählt – die aktuellen Schätzungen von WWF und KaZa-Verwaltung sind gar doppelt so hoch. Im Chobe National Park in Nord-Botsuana ist die Population derart stark gewachsen, dass die Vegetation bereits deutlich sichtbaren Schaden genommen hat. Das Problem ist offensichtlich: Die Elefanten brauchen mehr Platz.

Leicht zu finden ist der allerdings nicht, denn das Gebiet ist besiedelt und wird durch die neuen Einnahmequellen aus dem Tourismus sogar noch attraktiver. Die vielen kleinen Rundhütten-Dörfer schrecken die Tiere ab. Das größte Problem sind Feldwirtschaft und Viehhaltung: „Elefanten und Büffel mögen keine Rinder“, sagt Haasbroek. Die Zäune sind zwar abmontiert, doch die Tiere trauen sich nur nachts durch den Fluss und schwimmen morgens zurück – zur Freude der zahlreichen Krokodile, die sich tagsüber vollgefressen und bräsig auf den Sandbänken sonnen. Ansonsten sind die Riesenechsen dort allerdings relativ allein. „Früher  waren diese Überschwemmungsebenen voll mit Moorantilopen, Wasserböcken und Sitatungas“,  erzählt er, während das Hausboot langsam auf der Grenze zwischen Namibia und Sambia gen Süden schippert. Dann begann die Wilderei: „1988 hat die alte Regierung den Bewohnern des Caprivi-Zipfels Gewehre gegeben.“ Noch heute habe jedes Dorf ein Gewehr. Das Erbe von Apartheid und südafrikanischer Fremdherrschaft, deren Armee mit Unterstützung der abtrünnigen Caprivianer gegen die Befreiungsfront der SWAPO kämpfte, hatte für den Wildbestand noch lange nach Kriegsende fatale Folgen. „Sie wildern nicht mehr so viel, aber sie wildern noch.“

Der Naturliebhaber, fanatische Angler und Jäger steht auf dem abgeflachten Bug seines Bootes, das Handy am Ohr. Ein Vertreter der Lokal-Regierung ist am Apparat, sie brauchen seine Dienste. Kinder, Lehrer und Tische einer Schule in den Sümpfen, die er erst vor ein paar Monaten mit dem gleichen Boot evakuiert hat, soll er nun wieder übersetzen. Er tut es nicht aus Überzeugung, aber er nimmt den Auftrag an. Ganze Dorfgemeinschaften ziehen so im Wechsel der Jahreszeiten wieder und wieder hin und her. Auf der sambischen Seite steht ein LKW mit Getreide-Säcken, die zwar aus Namibia stammen, aber über das Nachbarland und den Fluss leichter in das kaum erschlossene Gebiet zu bringen sind. „Die Regierung gibt den Menschen Flut-Hilfe und Dürre-Hilfe“, erzählt Haasbroek – „zur gleichen Zeit, jedes Jahr“.

Es sind wahnwitzige Geschichten, die der großgewachsene Familienvater erzählt. Sie transportieren einen Fatalismus, dem das KaZa-Projekt eigentlich entgegenwirken soll, der in der Gegend aber dennoch weiter genügend Nahrung bekommt, oft auch durch eigentlich gut gemeinte Initiativen. Eine südafrikanische Bank spende alljährlich Mückennetze, um gegen die grassierende Malaria anzukämpfen, berichtet er später. Für das unwissende Auge ist zeitgleich sonst nur die Romantik eines einsamen Fischerboots vor der tiefstehenden Sonne zu sehen. Doch die verfliegt mit dieser Anekdote umgehend in der kühlen Nachmittagsbrise. Weil rund um die längst überfischten Gewässer inzwischen selbst für Fischchen in Streichholzgröße ein Markt entstanden sei, hingen die Empfänger ihre Netze häufig in die Entwässerungskanäle der Sumpfgebiete – und nicht wie angedacht übers Bett. Mit fatalen Folgen: „Denn was ist die Hauptnahrung von Jungfischen?“, fragt Haasbroek rhetorisch und schiebt die Antwort gleich nach: „Mückenlarven!“. So töten die gut gemeinten Spenden nicht nur die Grundlage einer nachhaltigen Fischerei sondern verschärfen sogar das Malaria-Problem, das sie lösen sollten.

Das Beispiel ist extrem, aber es zeigt, dass es im Riesenprojekt KaZa noch viel Arbeit gibt, vor allem Aufklärungsarbeit. Das gilt auch für den Naturschutz, dessen Basis noch immer brüchig scheint. George Magwaza bestätigt das so einfach wie eindrucksvoll. „Wenn wir profitieren, unterstützen wir ihn, aber wenn wir nichts davon haben, dann nicht“, sagt er über das Parkprojekt. Der Viehzüchter mit dem Stoppelbart und der zerschlissenen Hose kommt auf der Suche nach stabilen Stöckern für seine Hütte mit einer großen Machete am Hausboot vorbei, das nach einer Nacht mit Löwengebrüll und Elefantengeschrei noch zum Frühstück am Ufer des Chobe liegt. Der Fluss hatte Teile seiner Wohnung mitgerissen, nun muss Nachschub her – nichts Besonderes für Magwaza der mit seinen Rindern nur abhängig von Wasserstand und Weidegründen auf und ab zieht. Auswärtige sieht er dabei nur selten. Wenn, dann sind es meist Trophäenjäger, die das Fleisch der erlegten Tiere an die Menschen vor Ort abgeben müssen. Noch sind auch im KaZa-Park Jagdzonen vorgesehen, der Fokus liegt allerdings eindeutig auf Safari-Tourismus – geschossen wird dann nur noch mit Fotoapparaten. Doch dafür braucht es mehr Fläche und weniger Siedlungen. Ob Magwazas Dorfgemeinschaft bereit wäre, für mehr Naturschutz und mehr Tourismus wegzuziehen? „Das wäre schwierig, denn die Menschen sind an das Leben hier gewöhnt“, sagt er und zeigt mit dem Finger auf den sandigen Boden. Ohnehin hat er andere Sorgen: „Dieses Jahr brauchen wir mehr Fleisch“, sagt Magwaza bevor er seinen Kaffee austrinkt und wieder im Busch verschwindet. „Diese Leute werden niemals wegziehen, sie werden niemals aufhören, Vieh zu züchten und sie werden immer mehr und mehr“, sagt Haasbroek anschließend mit einem Kopfschütteln.

KaZa, das wird an den beiden so unterschiedlichen Ufern des Chobes deutlich illustriert, ist ein hoffnungsvolles Projekt für eine relativ unfruchtbare Region. Es kann allerdings nur funktionieren, wenn die Tourismusbranche und die im Fremdenverkehr noch gänzlich unerfahrenen lokalen Gemeinschaften nachhaltig zusammenfinden. „Die Menschen in der Gegend müssen wichtige Nutznießer sein, sonst wird das Projekt nicht sein volles Potential ökonomischen Wachstums entfalten um die Erwartungen zu erfüllen“, sagt WWF-Mann Taylor. „Im Mittelpunkt stehen die Gemeinschaften, denn sie werden ihre Wahl treffen.“

Veröffentlicht über dpa am 1. November 2011, erschienen unter anderem bei Spiegel Online.