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Erntezeit im Tal der Götter

18. April 2012 – 18:56

Südafrikanischer Wein wird in Deutschland immer beliebter – Ein Ortsbesuch zur Lese im März

Schnellen Schrittes jagt John Seccombe durch die Gassen zwischen den Rebstöcken, zückt hier und da sein Messer und schneidet nach dem Zufallsprinzip ein paar Trauben ab, die er in seine Plastiktüte steckt. Es ist kurz nach 8 Uhr morgens, und im noch sanft von Wolken verschleierten Hemel-en-Aarde Tal hängen noch kleine Tautröpfchen im Gras während die stehende warme Luft bereits die Hitze des Tages ankündigt. Es ist ruhig, hoch über dem Tal thront gräulich schimmernd der Babylon’s Tower, der Turmbau zu Babel wie die Südafrikaner den höchsten Berg in diesem mit biblischen Namen bedachten Tal (Hemel-en-Aarde ist Afrikaans und steht für Himmel und Erde), doch John hat nicht viel Zeit. Er ist Winzer auf Domaine des Dieux – dem „Gut der Götter“, wie es sich aus der Weinsprache Französisch übersetzen lässt – und muss schleunigst Proben nehmen. John schneidet Sauvignon Blanc für seinen Kollegen Marc van Halderen, Winzer auf dem Gut La Vierge („Die Jungfrau“). Die beiden sind zwar Herren über ihre eigenen Marken, teilen sich aber einen Keller – und in dem herrscht dieser Tage Hochbetrieb.

Eine Hitzewelle im Januar, gepaart mit einer extremen Dürreperiode hat die Winzer unter Zeitdruck gesetzt, weil die späten Rebsorten nun eher und die frühen später reif sind. „Was wir normalerweise in drei bis vier Wochen ernten, müssen wir nun in zehn Tagen schaffen“, sagt der energetische Mit-Dreißiger. Wie ein gestresster Landwirt klingt er dabei dennoch nicht. John hat Mathematik und Computerwissenschaften studiert, in England gearbeitet und ist erst später auf Heimatbesuch in Südafrika zum Weinliebhaber geworden. Mit einem zweiten Studium lernte er seine jetzige Berufung von der Pike auf, die kühle, städtisch-elegante Persönlichkeit aber ist geblieben. Und die Pragmatik: „Es dreht sich alles um Logistik, die Proben von heute könnten wir morgen schon ernten“. Doch davor steht das Labor, drehen sich die Entscheidungen um Zucker- und Säurewerte sowie den Ph-Gehalt, der den Gesundheitszustand des Weines andeutet. Insgesamt erwartet John 260 Tonnen Trauben auf 46 Hektar Anbaufläche – damit ist der Doppelbetrieb im Hemel-en-Aarde Tal zwar einer der Größten, in der Weinbaunation Südafrika aber immer noch ein kleines Gut. 250000 Flaschen Sekt und Wein verlassen jährlich den Keller des Guts, die Großproduzenten im Land bringen es auf 30 bis 40 Millionen. Die Expansionsmöglichkeiten aber sind gering in dem hügeligen Talkessel, der eingegrenzt von zwei Naturreservaten nördlich des Fischerstädtchens Hermanus rund 100 Kilometer östlich von Kapstadt liegt. In Punkto Berühmtheit muss das Tal hinter international bekannten und von Wein-Touristen inzwischen förmlich überrannten Anbaugebieten wie Stellenbosch und Paarl ebenfalls klar zurückstecken, doch dafür stecken im Tal der Götter alle Zutaten für Qualitätswein. 350 Höhenmeter lassen die Trauben langsamer reifen, die Aromen entwickeln sich so, bevor der Zuckergehalt zu hoch ist. Die Tallage sorgt zudem für einen lehmigen Boden über der Sandsteinbasis der Bergrücken. „Man sagt zwar Wein muss leiden“, schränkt John ein, „aber er darf auch nicht zu viel leiden, dann entwickelt er sich nämlich nicht genug“. Entdeckt wurde das göttliche Anbaugebiet trotzdem erst in den 80er Jahren, bis vor 30 Jahren grasten in der kargen Feinbusch-Vegetation noch Zuchtschafe, die Farmen, heute nach der Schöpfung und der Jungfrau benannt, hatten so wenig verlockende Namen wie „Diep Gat“ – Afrikaans für „Tiefes Loch“.

„Wenn Sie in Südafrika sehr guten Wein produzieren wollen, brauchen Sie ein kühles Klima“, sagt der braungebrannte Hühne. Das gewährleistet der nahe Atlantik, den die Kapstädter hier östlich des Kaps der Guten Hoffnung gern fälschlicherweise als Indischen Ozean bezeichnen, mit einer konstante Meeresbrise, die in den heißen südafrikanischen Sommern wie eine natürliche Klimaanlage wirkt. Heute ist die Kühlung allerdings noch nicht angelaufen und sie wird es auch im Verlauf des Tages nicht mehr tun. John trifft sich mit Petrus Bothma, dem Farm-Manager. Der lässt seine Arbeiter gerade Pinot Noir und Chardonnay ernten, besorgter ist er allerdings über den Weißen Riesling, dessen deutschen Namen der kräftige Afrikaaner fast akzentfrei ausspricht. Die Trauben haben eine vergleichsweise dünne Schale und sind damit anfälliger für Fäule und Pilzbefall. In zwei, drei Tagen könne ein ganzer Bestand verrotten, erklärt Petrus sein Albtraum-Szenario – und das immer schwüler werdende Klima macht die Sorgenfalten auf seiner Stirn keineswegs kleiner.

Es ist still in der Erntekolonne, kein Gesang, kein Schwätzchen ist zu hören. „Wir hatten eine ziemlich harte Woche“, sagt Petrus, der normalerweise schon das ein oder andere Liedchen von seinen Angestellten gewöhnt ist. „Ich glaube sie sind müde.“ Kurz nach 9 Uhr morgens sind die 30 Männer und Frauen zumindest mit der Ernte für den Tag durch, die nun einen Tag und eine Nacht im Kühlraum verbringt und von da schließlich in den Keller wandert. Die Handernte ist ein Job für Frühaufsteher, mancher Tage ziehen die Arbeiter bereits um 4 Uhr los, mit Kopflampen. Es geht darum, die Trauben so kühl wie möglich in den Keller zu bekommen, weil sie in der Hitze des Tages an Qualität verlieren würden. Damit das täglich so rasch gelingt, müssen die Arbeiter auch nach dem eigentlich Pflückeinsatz noch ran: Sie reißen Blätter ab und schneiden unreife und faulige Trauben weg und bereiten so den Ernteeinsatz für den nächsten Tag vor. „Wir sind froh, wenn die Erntezeit vorbei ist“, gesteht die drahtige Vorarbeiterin Leonore Kroukamp, die sich dann wieder auf normale Arbeitszeiten von 7.30 bis 17 Uhr freuen kann.

Auch John wird dann wieder seltener in den Weinbergen zu finden sein, wo er derzeit ungefähr jeden zweiten Tag Proben nimmt. Die nächsten Arbeitsschritte finden im hochmodernen Keller statt. In riesigen Edelstahltanks gären der Traubensaft zu Weißwein und die gesamte gepresste Maische mit Schalen zu Rotwein. Schläuche so dick wie bei der Feuerwehr pumpen den Rohstoff vom Vortag gerade in die Behälter, im schweren Gärgeruch des Kellers herrscht ein hektisches Treiben. Später wird der unfertige Wein für den Rest des Jahres in Eichenfässern ausreifen. Dem Sekt wird später noch Zucker hinzugefügt, der schließlich in der Flasche vergärt und neben 1,5 Prozent zusätzlichen Alkoholprozenten auch für das typische Prickeln sorgt. Eine Etage höher dürfen die Tropfen des Vorjahres bereits verköstigt werden, in kleinen Schlückchen, garniert mit fachmännischen Erklärungen rund um Aromen von Waldbeeren und Eiche. Insbesondere der Chardonnay lässt von einem reichen Fischmenü träumen, doch auf dem Heimweg kreuzt eine andere Tierart auf: Ein Trupp Paviane überquert die Straße und unterstreicht noch einmal den typisch afrikanischen Weinausflug. Farmmanager Petrus hat für derlei Naturerlebnisse freilich nur wenig über – erspähen er oder seine Leute die unerwünschten Plünderer, vertreiben sie sie, gerade jetzt zur Erntezeit.


Erschienen am 18. April 2012 in der Neuen Wernigeröder Zeitung.