Ausflug ins Paradies

15. April 2012 – 18:14

“Taxi?” – eine einzelne, schüchterne Frage, kein Schwarm nach Aufträgen dürstender Asphaltcowboys, keine aufdringlichen Kofferträger und hinter dem Ausgang gleich ein dominantes Granitmassiv, dicht bewachsen in paradiesischem Grün. Ganz klar: Die Ankunft auf den Seychellen hatte ich mir anders vorgestellt. Ich ließ den Taxifahrer ignorant stehen, vermied jeglichen Blickkontakt und war ein paar Minuten später selbst beschämt über mein in Kapstadt, Johannesburg, Windhuk und sonstwo antrainiertes Verhalten.


Die Seychellen sind anders, das sollte auch die Fahrt über die Hauptinsel Mahé mit der malerischen Hauptstadt Victoria zeigen, die wie eine Mischung aus Fischerdorf und ländlichem Provinzzentrum wirkt. Armenviertel gibt es nicht. Das Bild zog sich durch den gesamten Arbeits-Urlaub, in neun Tagen hat mich nicht ein Mensch angebettelt, für die Leihfahrräder gibt es mangels Dieben keine Schlösser und selbst sichtlich beschwippste, alte Männer, die vorm Kiosk im Schatten sitzen, grüßen mit einem anstandsgeladenen „Bonjour“.


Der lokale Radiosender heißt Paradise FM und beschreibt seine Heimat damit betreffend. Gemeint sind damit nicht nur die Korallenriffe, wo sich rote, gelbe, blaue, hellsilbrige, mattschwarze, hochrückige, kreisförmige, dickliche, aaldünne und torpedoartig schnittige Fische nebeneinander tummeln – Haie, Roch und Meeresschildkröten, Kalamare, Kaui-Schnecken und Felsenhummer nicht zu verschweigen. Gemeint sind auch nicht nur die von Granitklippen durchzogenen Dschungel, in denen Mango- und Avocadobäume neben Bananenstauden und Kokospalmen wild wachsen. Nein, das Paradies beschreibt auch die Kultur der Seychellen, wo selbst die betrunkenen Teenager am Samstagabend auf der Hafenmole nicht auf die Idee kämen, einen ahnungslosen Urlauber aufzuziehen, während die Inselpolizistin am Schreibtisch hinterm Fenster in einen dicken Schmöker vertieft ist.


Robinson Crusoe pur sind die Seychellen nicht mehr, auch La Digue nicht, die einst autofreie Nebeninsel, auf der ich das Gros meiner Zeit verbrachte. Aber die Inseln haben zufriedene Einwohner hervorgebracht, die mit dem Tourismus ein gutes, entspanntes Leben führen können. Armstrong, der Wirt meines kleinen Gasthauses, war einer von ihnen, ein sanfter Bär von Mann, der mir zur frühmorgendlichen Abreise drei Passionsfrüchte mit auf den Weg gab. Die schmecken nach Paradies wie kein anderes Obst, sind im Abgang aber säuerlich, als wollten sie mich daran erinnern, dass mein Aufenthalt in der Traumwelt endlich war. Die nächsten Stationen hießen Johannesburg und Kapstadt, ich habe bereits wieder dutzende Kofferträger und Taxifahrer ignoriert.

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