Bittere Trauben

20. November 2012 – 16:24

So so, “die Auswahl von ANC-Gemeinderäten im vergangenen Jahr war voller Manipulationen und ernster Unregelmäßigkeiten“, berichtet der Sunday Independent vorgestern. So wirklich neu ist das nicht, entsprechende Berichte und innerparteiliche Anwürfe kursieren seit langem, es gab sogar Demonstrationen gegen unliebsame Provinzfürsten. Nun hat aber das von der Regierungspartei selbst eingesetzte Task-Team unter Leitung der Vorsitzenden der Afrikanischen Union, Nkosazana Dlamini-Zuma, seinen Bericht vorgelegt, das ist natürlich eine Erwähnung wert. In 419 Wahlkreisen hat die Kommission demnach ermittelt. Ja, wirklich, 419. Der Zahlencode für billigen Email-Betrug bringt Schelme wie mich natürlich zum Lachen, die kleinen Heiterkeiten des nerdigen Korrespondenten, der sonst nichts zu lachen hat. Wirklich lustig ist es aber natürlich nicht.

Außerhalb des Büros wird das schnell klar, wie neulich im Dorf De Doorns. De Doorns, gut anderthalb Stunden nordöstlich von Kapstadt im malerischen Hex River Valley gelegen, kennen die meisten Südafrikaner nur vom Ortsschild an der Fernstraße N1, die die ruhige Mutterstadt am Kap mit der hektischen Finanzmetropole Johannesburg verbindet. De Doorns ist dieser Tage weder ruhig noch hektisch. Es ist im Grunde genommen explodiert. Denn in den hübschen, grünen Weinfeldern rund um das Örtchen mit seinen 9000 Einwohnern, zwei Supermärkten, der protzigen Dutch Reformed Church und der zurzeit ungewöhnlich emsigen Polizeistation hat sich seit Jahrhunderten ein Arbeitssystem bewährt, bei dem den Farmsklaven am Ende nichts übrig bleibt, als zu schuften, zu klagen und ihre Kinder irgendwann in den gleichen Kreislauf einzuarbeiten. Die Leibeigenschaft ist hier natürlich auf dem Papier auch längst abgeschafft, was den Farmern die Möglichkeit gibt unliebsame Arbeiter rauszuschmeißen und aus ihren Behausungen vom Hof zu jagen. Offiziell wird auch niemand mehr mit billigem Wein bezahlt, aber wer bei Tageslöhnen um die 6 Euro, real nicht existierenden Bildungschancen und hungernden Existenzen in windschiefen Wellblechhütten ohne Dusche von etwas anderes als Sklaverei redet, müsste mir schon noch einmal seine Definition von Freiheit erklären. Die Farmarbeiter sahen das ähnlich. Sie streikten, sie wüteten, sie blockierten die Straße mit Felsbrocken, sie plünderten, sie zündeten die Weinstöcke an – und sie haben doch keine Chance.

Stell dir vor, es brennt und keiner sieht hin.

Denn auch wenn die Farmer hier natürlich mehrheitlich Weiße und stramme Gegner des ANC sind, der die schöne heile Apartheid-Welt zumindest anderswo zum Einstürzen brachte, ist es doch auch jene Zahl 419, die hier zuschlägt. Es ist der Betrug am Volk. Es sind die Vorwürfe gegen die lokalen ANC-Oberhäupter, nebenbei als Zeitarbeitsverleiher am Elend ihrer Untertanen zu verdienen und es ist die Verlogenheit einer Streikführung, die sieben Euro am Tag als Sklavenlohn bezeichnet, aber das Parteibuch jenes ANC in der Tasche hat, der 6 Euro am Tag als Mindestlohn festschreibt.

Ich sollte nicht so undankbar sein, ich hatte doch meinen großen Moment, als der vermeintliche Streikführer zwischen all seinen revolutionären Parolen auf die große Wirkung des Streiks verweist, weil ein paar Meter vor ihm ja sogar ein Journalist aus Deutschland stehe. Nicht, dass ich mit meiner mitteleuropäischen Blässe unter den Streikenden nicht ohnehin aufgefallen wäre, aber so viele Augen auf einmal, das ist schon komisch. Auch wenn das Thema gar nicht komisch war und die Rolle des Redners – wie ich jetzt weiß – eben auch nicht. Der gute Mann dient neben seinem Job als Präsident einer ANC-nahen Gewerkschaft nämlich vor lauter Engagement gleich auch noch als Vorsitzender einer schwarzen Wein-Kooperative, deren Investoren gleichzeitig wesentliche Anteile an wichtigen weiteren Traubenveredlern in der Region haben. Ein scheinendes Beispiel der Transformation weg vom weißen Monopolgewerbe hin zum schwarzen Unternehmer? Oder doch ein Interessenkonflikt? Ich weiß es in seinem Fall wirklich nicht, aber die Ungewissheit ist Teil des Problems.

Posieren vorm Polizeitransporter: Kinder in De Doorns.

„Manchmal sind unsere Leute die schlimmeren Bosse“, sagt eine farbige Aktivistin. Und dann erfahre ich noch von einem Streik von unten, organisiert durch die Arbeiter eines Weinguts, die den ganzen Prozess erst ins Rollen brachten und den anschließenden, aufgescheuchten Kampf der politischen Dorfelite um die Lenkung des Aufstands. Es geht um Ansehenswahrung, um Führungsansprüche und damit um Marktanteile auf dem jetzt nach Streikende wieder florierenden Sklavenmarkt. Die Farmer, die sich so gern über die korrupte, neue Elite ereifern, werden dann wieder genau mit diesen Geschäftspartnern zusammenarbeiten, sich von ihnen die billige Arbeitskraft besorgen lassen, die die eigenen Profite erarbeiten darf und das Ausbeutungsspiel bis zum nächsten politisierten Streik fröhlich mitspielen. Sie brauchen eben den Feind, der seine Leute verkauft. Das war es dann aber auch schon mit dem gesellschaftlichen Wandel, mit der Regenbogenrevolution im ländlichen Südafrika. 419-Country passt da tatsächlich besser. Wenn der Betrug wieder aufgeht, gibt es bald wieder saftige Weintrauben made in South Africa in deutschen Supermärkten. Einfach den leichten Staubfilm aus Lüge, Verrat und Apartheid abwaschen und dann guten Appetit!

Kommentar schreiben