24. Dezember 2012 – 08:48
Weihnachtszeit ist Sommerzeit in Südafrika. Die Tage auf der Südhalbkugel sind jetzt am längsten und wärmsten. Während sich die Halbwüste der Karoo bis zu 50 Grad Celsius aufheizt, bleibt das Thermometer am meeresgekühlten und steifen Brisen umwehten Kap der Guten Hoffnung allerdings meist in den angenehmen 20er- bis 30er-Regionen stehen. Das liegt nicht zuletzt am eiseskalten Benguela-Strom. Aus der Antarktis kommend sorgt er an der Westseite des südlichen Afrikas bis hinauf zum Äquator für Fischreichtum, aride Landstriche und schnell zurückgezogene Touristenfüße an den malerischen Stränden Kapstadts. Östlich der Kap-Halbinsel liefert sich die Strömung einen ewigen Kampf mit dem wesentlich wärmeren Agulhas-Strom, der seinen Ursprung in den wohltemperierten Gewässern Mosambiks und Madagaskars hat. Die Kombination aus wechselnd warmem Wasser und reichhaltiger Sauerstoff- und Planktonversorgung mit Absender Antarktis macht die Gewässer südöstlich von Kapstadt zum idealen Revier des Westküsten-Felsenhummers. Die staatlichen Schalentiere, die mit Klauen statt Scheren ihre Nahrung aus Muscheln, Seeigeln und toten Fischen zerlegen und deswegen eigentlich zu den Langusten gehören, sind die Hauptattraktion der Kap-Küche. Gut und gerne 20 Euro legt der geneigte Restaurant-Besucher für einen 300-Gramm-Portionshummer rund um Kapstadt auf den Tisch. Die Saison-Lizenz des südafrikanischen Fischereiministeriums ist dagegen mit knapp 9 Euro ein Schnäppchen, vier Langusten pro Fang-Tag darf der Hobby-Fischer damit zum Eigenverzehr an Land holen. Der Star meines Jäger-Sammler-Fünf-Gänge-Menüs steht damit fest, doch beginnen wir zunächst mit der Vorspeise.
Muscheln, Oktopoden, Schnecken – alles fangfrisch
Deren Hauptzutat bedarf zwar einer weiteren 9-Euro-Lizenz für Weichtiere, lässt sich dafür aber bei Flachwasser kinderleicht erlegen. Auf den trocken liegenden Granitfelsen der Brandungszone kommen dann nämlich riesige Miesmuschelkolonien zum Vorschein. Jetzt im Sommer haben sie schon gut Fleisch angesetzt und landen neben ein paar Tomaten, reichlich Knoblauch und Frühlingszwiebeln in einer cremigen Muschelsuppe. Der Schnittlauch im Garten ist auch bereits reichlich gewachsen und garniert den Menü-Einstieg. Wenn es am Kap übrigens ein wirklich traditionelles Gericht gibt, dann dürften das die Muscheln sein. Denn lange bevor die Europäer das Gebiet eroberten, lebten hier die Khoisan, von den Siedlern als Buschleute bezeichnete Ureinwohner des südlichen Afrikas, deren einstige Leibspeise sich noch heute anhand der Muschelschalenhalden in der Nähe etlicher Höhlen entlang der Küste ablesen lässt.
Auf reichlich Regen folgen am Kap reichlich Reizker.
Für den folgenden kleinen Zwischengruß aus der Naturküche bedurfte es dagegen des europäischen Einflusses, genauer gesagt der weitreichenden Kiefernplantagen, die sie in der eigentlich von Feinbusch dominierten Landschaft angelegt haben. Mit den Kiefern kamen so nämlich auch Steinpilze, Reizker, Maronen und Perlpilze ans Kap, die dank des gemäßigten Klimas gleich zweimal jährlich sprießen, im Frühjahr und im Herbst. Einzige Voraussetzung ist ein heftiger Regenguss. Weil sich die Himmelstore um Weihnachten allerdings nur höchst selten öffnen, müssen hier in der Regel die November-Steinpilze aus dem Tiefkühlschrank herhalten. In große Stücken geschnitten und gemeinsam mit gesäuberten, abgebrühten Periwinkles (einer kleinen, nussig-aromatischen Seeschnecke) werden sie in Butter, Salz und Pfeffer angebraten und schließlich auf Zahnstocher gespießt. Ein paar geröstete Pekannüsse vom Baum im Garten liefern schließlich die Beilage.
Noch ein köstlicher Eindringling: Steinpilz am Tafelberg.
Doch raus aus dem Wald und rein ins Meer. Herrlich winden sich die Talstraßen aus dem Helderberg-Höhenzug östlich von Kapstadt hinunter durch das Weinland in Richtung der im November bei paarungswilligen Walen äußerst beliebten Walker-Bucht. Keine Sorge, auf meinem Zutatenzettel für das Weihnachtsmenü steht ein wesentlich kleinerer Zeitgenosse: der Oktopus. In den natürlich geformten Steinbecken, die bei Ebbe nur noch alle paar Minuten mit dem Frischwasser großer Wellen versorgt werden, liegt das Revier der äußerst intelligenten Weichtiere. Die aggressive Verteidigung ihres Territoriums gegen Artgenossen wird den Kraken allerdings zum Verhängnis – und den mit der Taucherbrille umher watenden Fischern zum Vorteil. Ein Gummi-Tintenfisch am Gaff lockt und zieht die achtarmigen Tiere aus ihrer Felsspalte. Nach einer Stunde bei niedriger Hitze im Ofen ist ihr Fleisch angenehm zart und zusammen mit den frischen Bohnen aus dem Garten perfekt für eine kleine, dunkle Paella geeignet. Ein paar Muscheln oder Hummerstücke ergänzen das Gericht ganz gut.
Es lebt und diniert sich nicht schlecht aus dem Korb des Meeres, doch mühelos ist das Unterfangen nicht. Wer sich durch die brechenden Wellen ins kalte Wasser kämpft, bemerkt recht schnell, dass die Delikatessen erst mit wachsendem Aufwand immer ausgefallener werden. In zwei bis fünf Metern Tiefe bevölkert schließlich eine Seeschnecke namens Turbo Sarmaticus den Meeresboden. Die gewundene Schale der Wasserpflanzenfresser, die die Südafrikaner Alikreukel nennen, geht in Europa in geschliffenem Zustand für relativ viel Geld über die Ladentische. Die Menschen am Kap sind dagegen hauptsächlich an dem reichen, zähen Fleisch der Tiere interessiert. Der gesäuberte Fuß und Körper der stämmigen Schnecke kommt in den Fleischwolf, wird mit Ei, Knoblauch, Semmelmehl, Salz, Pfeffer und gehackten Chili-Schoten vermengt und schließlich zu Bouletten gebraten. Eigentlich könnte man in dieser Speise schon versinken, doch um die Bestände nicht zu überfischen, dürfen nur fünf Schnecken gefangen werden – weshalb in der Tauchtasche noch etwas Platz für den König der Kap-Küste bleibt.
Fangplatz Kelp-Dschungel: Die Unterwasser-Bäume bremsen die harte Brandung und bieten neben Hummern und Schnecken auch schnorchelnden Jägern Schutz.
Argwöhnisch ragen seine langen lehmrot-grau-gestreiften Fühler aus kleinen Felsspalten und Überhängen jenseits der Gezeitenzone hervor. Harmlose gestreifte und gepunktete Riff-Haie verstecken sich hier im Dschungel der baumlangen Unterwasserpflanzen, Miniatur-Korallen wachsen neben buntem Seegras, das auch scheuen Fischen und knallroten Seesternen als Lebensraum dient. An Glückstagen taucht sogar eine Robbe oder eine Gruppe Delfine vor der Taucherbrille auf. In dieser kalten, häufig wellig-rauen, aber doch so unheimlich schönen Unterwasserwelt lauert er, der Westküsten-Felsenhummer, stets zum Rückzug in seine Höhle bereit. Fischer kommen ihm mit Muschelködern und Ringnetzen bei. Doch der Königsweg zu den größten Exemplaren, der hier bis zu 1,5-Kilogramm schweren Langusten ist noch immer der flinke Griff des abtauchenden Schnorchlers. Verkeilt sich der Hummer dann in seiner Höhle, entwickelt sich ein Kampf um Leben oder Genuss, zeitlich begrenzt durch den eigenen Atem. Sauerstoffflaschen sind beim Beutezug nämlich verboten, die Südafrikaner wollen die Jagd fair halten und räumlich auf die flacheren Zonen einschränken. So schwierig der Fang ist, so kinderleicht ist die Zubereitung. Der getötete Hummer wird längs in zwei Hälften geteilt und mit der Schale nach unten auf dem Grill unter stetigem Bestreichen mit Knoblauch-Butter langsam gegart. Dazu passt ein Chardonnay vom Vorjahr, den es direkt auf den Weinfarmen gibt, wo sich die 2013er-Reben gerade ihre letzten Sonnenstunden vor der Ernte im Januar und Februar holen. Der gute Tropfen bleibt bei diesem Menü neben ein paar Grundnahrungsmitteln so ziemlich das einzige, das Geld kostet. Den Rest liefern am Kap die Gaben der Mutter Natur. Frohe, köstliche Weihnachten!
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