Hyänenpolitik und die Suche nach Gründen

18. November 2011 – 13:29

Ich muss gestehen, die vergangenen Wochen waren aus politischer Sicht schon verdammt witzig für mich. Paradoxer Unsinn in Reinform: Der Retter der Armen (und ANC-Jugendliga-Präsident), Julius Malema, flog kurz nach seiner Reise zur Luxus-Hochzeit eines Unternehmerfreundes auf Mauritius auch noch aus dem ANC – für fünf Jahre, ohne Bewährung. Nur Stunden vor seinem ersten Flug führte er noch einen Marathon-Marsch von Johannesburg nach Pretoria an, um für die wirtschaftliche Befreiung zu kämpfen. Danach dann Austern und Champagner. Und nun? Raus und Aus? Natürlich nicht, denn jetzt geht doch die große Show erst los. Schon die Urteilsverkündung war als völlig überfüllte Pressekonferenz im Luthuli-Haus aufgezogen. Schnell gab es in der Tragik-Komödie dann die ersten Lacher, weil der Vorsitzende der Disziplinarkommission bei der Verlesung der ersten Mini-Strafe für einen untergeordneten Anklagpunkt kurz ins Stocken geriet und die Fortführung seiner Begründung mit einem eingeschobenen „Es kommt noch mehr!“ ankündigte. Da freute sich die Meute und wäre Malema selbst anwesend gewesen – er hatte Termine, na klar – hätten wohl nicht wenige gern den ersten Stein geworfen. Doch nix da, das ANC-Hauptquartier ist immer noch ein „revolutionary house“, wie Malema selbst einst feststellte und so sprang der bullige Sprecher des Erwachsenen-ANC gleich auf, drohte mit den Rausschmeißern und untersagte das Gekicher. Anschließend wurde der Sprecher der Jugendliga, ebenfalls in Abwesenheit, für drei Jahre aus der Partei ausgeschlossen, weil er zu einem Journalisten „Fuck you“ gesagt hatte. Das geht ja auch nicht!

Revolutionäre Jugend bei der Friedensdemonstration zum Abschluss der 17. Weltjugendfestspiele im Dezember 2010 in Pretoria. Die ANC-Jugendliga löste bei den Delegation vieler anderer Länder vor allem eines aus: Verwunderung.

Dass Malema anschließend mit markigen Worten in die Kameras der bösen Lügenmedien ankündigte, in Revision zu gehen, war genauso vorhersehbar wie sein Parteiausschluss (wenn auch die Länge überraschend hoch ist). Südafrikas Präsident Jacob Zuma, der selbst schon mit einem Fuß vor der Disziplinarkommission stand, weil er parteiinterne Absprachen ignorierte, neben seinen vier Ehefrauen noch weiter zu wildern, hat die erste Runde des Machtkampfs im ANC gewonnen, aber Juju, wie die Presse Malema hierzulande tauft, kündigt freilich einen langen Feldzug an. Die Feinde feiern, doch die Freude wird kurz sein. Jawoll! Doch diesmal ist es noch schlimmer als beim 60-Kilometer-Marsch nach Pretoria: Immer weniger wollen bis zum Ende mit. In einer politischen Kultur, in der der Gewerkschaftsgeneralsekretär einst von „politischen Hyänen“ sprach, die sich nur selbst bereichern wollen, büßen Verlierer schnell Freunde ein. Denn es geht bei diesem ganzen Geschacher nicht einen Funken um „die Armen“ oder „das Land“, es geht nicht um ideologische Konflikte zwischen Linken und Realos, weit und breit sind weder Kaisertreue noch Nazi-Kommunisten zu sehen. Es geht um Positionen und Einfluss, denn die versprechen Ego und Geld.

Aber wie kann das sein, dass eine politische Kultur so verroht? Noch dazu in einer Partei, deren ältere Kader die Demokratie noch selbst im militanten Widerstand unter Androhung von Folter und Tod erkämpft haben! Deren Genossen in den geheimen Knästen des rassistischen Regimes reihenweise auf Seifestücken in den Tod rutschten oder sich an Wänden selbst den Kopf einschlugen! Wie können Lüge und Gier gewinnen, wo einst selbstloser Kampf gegen einen Vertuschungsapparat siegte? Ich weiß es nicht. Und wenn ich darüber nachdenke, belustigt es mich auch nicht mehr.

Von „Entitlement“ ist im Volksmund dann schnell die Rede, vom Gefühl der politischen Elite, „es verdient zu haben“. Doch das greift zu kurz, denn es erklärt nicht, warum es keine moralische Instanz gibt, die diese selbst-gerechtfertigte Gier in die Schranken weist. Und man möchte hinzufügen, dass Apartheid ja auch im Kern das kollektive „Entitlement“ der weißen Minderheit war – und genau dagegen hat der ANC Zeit seiner Existenz gekämpft.

Ex-Präsident Thabo Mbeki, derjenige, der Südafrika – zusammen mit Nelson Mandela, so traurig das auch ist – 1996 an die Weltbank verkauft hat, meldete sich nun kürzlich mit einem hochgradig interessanten Artikel über den Krieg in Libyen zu Wort, in dem er dem Westen vorwirft, eigene Interessen in Afrika noch immer über die Interessen der Afrikaner zu stellen. Besonders deutlich wurde das, als eine Kommission der Afrikanischen Union (AU) nach Tripolis reisen wollte, um Friedensverhandlungen zwischen Rebellen und der damals noch nicht weggebombten Regierung anzustrengen. Die AU-Vertreter hatten ein Mandat (dieser völkerrechtlich theoretisch wichtige Zettel, um den sich die NATO regelmäßig einen Dreck schert), für das was sie planten. Doch die NATO-Truppen drohten, den Flieger der AU-Repräsentanten abzuschießen. So beugten sich die Afrikaner dem Diktat der Europäer in Afrika, der Rest der Geschichte ist bekannt, Gaddafi inzwischen fein-demokratisch hingerichtet, die Scharia auf dem besten Weg, Gesetz zu werden und die afrikanischen Staatsoberhäupter rudern eifrig zurück, weil sie sich mal wieder wovor fürchten – richtig, der Entscheidungsmacht der Europäer. Mbeki schreibt daher treffend:

„It should not come as a surprise if, over the years, the peoples of Africa lose confidence in the will of multilateral institutions, such as the UN, to help them change their condition for the better. This will happen because we will have come to understand that powerful countries beyond the oceans reserve the right and have the capacity ultimately to decide the future of Africa, with no regard for our views and aspirations as Africans. History will record that the moment of the reassertion of this deadly malaise was when the West, acting through the UN Security Council, dismissed the notion and practice of finding African solutions to African problems. Denied the right to solve its own problems, Africa will inevitably fall victim to ever-continuing conflict and instability.”

(„Es sollte nicht überraschend kommen, wenn die Völker Afrikas über die Jahre das Vertrauen in den Willen internationaler Organisationen wie der UNO verlieren, ihnen dabei zu helfen, ihre Lebensumstände zu verbessern. Das wird passieren, weil wir verstanden haben werden, das mächtige Länder auf der anderen Seite der Ozeane sich das Recht vorbehalten und die Kapazitäten haben, ultimativ über die Zukunft Afrikas zu entscheiden, ohne Achtung für unsere Sichtweisen und Wünsche als Afrikaner. Die Geschichte wird festhalten, dass die Untermauerung dieser tödlichen Malaise der Moment war, als der Westen – agierend durch den UN-Sicherheitsrat – die Idee und Praxis, afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme zu finden, zurückwies. Dem Recht beraubt, seine eigenen Probleme zu lösen, wird Afrika unweigerlich sich ewig wiederholenden Konflikten und Unstabilität zum Opfer fallen.“)

Vielleicht ist das auch eine Antwort für die belustigende und doch so traurige Krise des ANC. Warum sollten Menschen mit ernsthaften politischen Ambitionen, Menschen mit Ideen und Visionen sich noch gegen das gierige, skrupellose Hyänenrudel zur Wehr setzen, wenn die wirklich entscheidende Politik doch in weiter Ferne und auf immer über ihren Köpfen gemacht wird? Traurige Perspektiven, aber das aufheiternd inszenierte Polit-Theater geht ja zum Glück weiter.

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