Zum Wegfliegen: Piraten klauen den Titel, Chiefs werden zu Schwalben

25. Mai 2012 – 09:46


Fifa konforme Stimmung in “Soccer City”, das Fans nach einem alten Sponsor noch immer lieber FNB nennen

Fünf Minuten vor dem Ende kam doch noch Stimmung auf in Soccer City, Johannesburgs WM-Fußball-Tempel, wo sich ein paar tausend Unentwegte zumindest Teilzeit den lahmen Saison-Abschluss ihrer Kaizer Chiefs reinquälten. Die restliche Aufmerksamkeit galt nicht etwa dem unbedeutenden Gegner Amazulu FC, einer namenlosen Truppe aus dem Tabellenniemandsland, sondern dem eigenen Handy-Display. Denn zeitgleich kämpfte Erzrivale Orlando Pirates mit dem dritten Traditionsclub Sowetos, den Moroka Swallows, um die Meisterschaft. Letztere, in Südafrika freundlich „Vögel“ getauft, mussten gewinnen und auf einen Patzer der Piraten hoffen – ein Szenario, das auch den Chiefs-Anhängern gefallen hätte, wie die kollektiv ausgebreiteten Arme verrieten, die nun frenetisch auf und ab flatterten.
Chiefs gegen Pirates, das ist das „Friendly Derby“ in Südafrika, das Duell der beiden größten Clubs mit den meisten Anhängern überall im Land. Ausgetragen wird es allwöchentlich in dutzenden Fußballstadien Südafrikas, wo mit riesigen Plastiksonnenbrillen und ausgeschmückten Minenarbeiterhelmen ausgestattete Anhänger beider Lager gegeneinander ansingen und spotten – völlig unerheblich, ob auch nur wenigstens eines ihrer Lieblingsteams sich gerade auf dem Rasen befindet. Südafrika ist schlicht zu groß und die Fußballfans mehrheitlich zu arm, um ihren Teams zu Auswärtsspielen zu folgen. Daher feiern sie ihre Helden einfach im nächstgelegenen Stadion, egal wer gerade spielt. Sperrige Zäune mit Metallzacken und prügelnde Polizeiroboter brauchen die Südafrikaner dabei nicht, Fußball ist in der Kaprepublik eine friedliche Veranstaltung.
Am letzten Spieltag in der einstigen WM-Arena ähnelte sie allerdings fast einer Beerdigung. Siphiwe Tshabalala, der an gleicher Stelle vor knapp zwei Jahren mit seinem Tor im WM-Eröffnungsspiel vor 90.000 Fans zum Volkshelden wurde, stand zwar auf dem Platz, war aber nur an seinen langen Rasta-Zöpfen wiederzuerkennen. Vor dem Stadion gingen die Tickets nun nicht zu Mondpreisen sondern für umgerechnet 2 Euro zum halben Einkaufspreis weg, die Verkäuferinnen an den offiziellen Kassenhäuschen blieben beschäftigungslos und in dem mittels Kalabassen-Design auf vermarktbares Afrika-Design getrimmten Schmuckkästchen blieb es ohnehin weitestgehend leer. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen dürften die Anhänger der Chiefs kaum noch wissen, wo ihr Team am Wochenende spielt, weil das Club-Management die Heimspiele an immer neue Arenen verkauft, die sich nach der WM mit Nägeln und Klauen gegen den völligen Leerstand stemmen. Zum anderen hat die südafrikanische Fußballliga den zentral festgesetzten Kartenpreis in der Umnebelung Blatterscher Euphoriegebete vor zwei Jahren einfach mal verdoppelt.
Die Spielqualität zog allerdings nicht annähernd nach. Uninspirierte Ball-Stafetten ohne Torschussabsicht verleiteten Ace Khuse, einstiger Star und aktueller Coach der glanzlosen Glamour Boys, wie die Chiefs im Volksmund firmieren, daher zu drei frühen Wechseln. Das nutzten jedoch einzig die Zulus aus Durban für einen gezielten Tritt fortan verletzungsbedingte Überzahl. Weitere Angriffe auf Ball, Tor und Leben blieben aber aus. Immerhin einen Höhepunkt hatte Amazulu-Torwart Tapuwa Kapini den gelangweilten Fans allerdings noch zu bieten, als er Mitte der zweiten Halbzeit beim Irrlauf durch seinen Fünfmeterraum ohne Ball- und Feindeinwirkung einen Schuh verlor und anschließend stärkere Probleme beim Schleife-Binden offenbarte. Schallendes Gelächter im weiten Rund, auch so können Spiele verlaufen, in denen es um nichts geht.
Während der starke Wind das Stadion immer mehr mit im Licht der tiefstehenden Sonne gebrochenen Staub von der benachbarten Minen-Abraumhalde einnebelte, half eigentlich nur noch das Angebot der Getränkeabteilung. Die entledigten sich vor der Sommerpause ihrer Schwarzbierbestände zum Preis von 1 Euro für zwei Halbliterdosen. „Wir haben Spaß“, kommentierte mein sichtlich angeheiterter Sitznachbar beim fröhlichen Zuprosten. Das Spiel kann er nicht gemeint haben und auch die Nachrichten von fremden Plätzen gereichten am Ende nicht zur Schadenfreude, all der Ornithologie zum Trotz. Der rundliche Seeräuber Benny McCarthy, einst wesentlich Schlanker und als einziger Südafrikaner überhaupt 2004 Champions-League- und Weltpokal-Sieger mit dem FC Porto holte die von den Chiefs favorisierten Vögel mit zwei späten Treffern aus dem siebten Himmel. Die Piraten hatten den Titel geklaut, das Telefon klingelt, die Quintessenz des seeräuberischen Anrufers: „Haha.“


Stadion-Kalabasse, Parkplatz-Acker, Johannesburg (von rechts)

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