Ein Felsen gegen Apartheid
5. August 2016 – 08:36Vor 60 Jahren protestierten Südafrikas Frauen gegen rassistische Passgesetze – und wurden zum unverzichtbaren Teil der Freiheitsbewegung
Anders als der Rest der Welt feiert Südafrika seinen Frauentag am 9. August. Erinnert wird damit an eine Demonstration von 20.000 Frauen, die an jenem Tag im Jahr 1956 gegen die Passgesetze des Apartheidstaates protestierten. Nach dem Zusammenbruch des rassistischen Regimes und den ersten freien Wahlen 1994 ernannte der seitdem regierende African National Congress (ANC) den 9. August zum nationalen Feiertag. Die Festivitäten in der kommenden Woche sollen nun genau an dem Ort stattfinden, wo die Frauen vor 60 Jahren demonstrierten: vor dem Präsidentenpalast, den Union Buildings, in der Hauptstadt Pretoria.
Der aktuelle Hausherr, Staatschef Jacob Zuma, hat für die Vorbereitungen eigens ein Ministerkomitee gebildet. Die Feier soll unter dem Motto »Frauen vereint, um Südafrika voranzubringen« stehen. Zuma ist jenseits dessen vor allem für seine Korrupti onsaffären und für sein äußerst traditionelles Verständnis von Geschlechterrollen bekannt. Der Präsident, der derzeit vier Ehefrauen und eine Verlobte hat, sorgt seit Jahren mit sexistischen Äußerungen für Schlagzeilen. 2012 erklärte er, es sei »nicht richtig«, wenn Frauen unverheiratet blieben, und dass sie Kinder haben müssten, da diese ihnen »extra Training« vermittelten. Und im März dieses Jahres sagte Zuma einer Gruppe von Journalistinnen, dass seine Bodyguards ihnen schmeicheln würden, wenn sie dies noch wie in der Vergangenheit tun dürften: »Aber wenn Männer euch unschuldig ein Kompliment machen, sagt ihr: ›Es ist Belästigung‹. Euch werden gute Männer und eine gute Ehe entgehen.« 2005 war er gar wegen Vergewaltigung angeklagt worden, und auch wenn er letztlich freigesprochen wurde, hängt ihm seine Aussage, er habe »heiß geduscht«, um eine HIV-Ansteckung zu vermeiden, bis heute an.
Fakt ist allerdings auch, dass Südafrika unter Zuma den in seiner Geschichte höchsten Anteil von Frauen im Parlament hat, die meisten von ihnen Abgeordnete des von ihm geführten ANC. Waren im Apartheidparlament 1990 lediglich 2,7 Prozent Frauen zu finden, stieg die Zahl unter dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten Nelson Mandela auf 27,7 und bis heute schließlich auf 41,8 Prozent. Was wie ein Gegensatz klingt, ist leicht erklärt: Südafrikas Frauen brauchen und brauchten keinen Zuma, um ihre Teilhabe zu erkämpfen. Sie haben sie stets selbst erzwungen, auch schon vor 1956.
»Wir Frauen sind keine von den Männern getrennte Gesellschaft. Es gibt nur eine Gesellschaft, und die besteht aus Frauen und Männern. Als Frauen teilen wir die Probleme und Sorgen unserer Männer, gemeinsam mit ihnen beseitigen wir soziale Übel und Hindernisse des Fortschritts«, hieß es in der 1954 auf der Gründungskonferenz der Federation of South African Women (FSAW) verabschiedeten Women’s Charter. Kritisiert wurden in dem Dokument vor allem die harten Lebensbedingungen von Arbeiterfamilien und insbesondere das System der Wanderarbeit, das die im Bergbau und in der Landwirtschaft ausgebeuteten Männer von ihren Frauen und Kindern trennte. »Das sind Übel, die es nicht geben muss. Sie existieren, weil die Gesellschaft, in der wir leben, in arm und reich geteilt ist, in Nichteuropäer und Europäer. Sie existieren, weil es Privilegien für wenige und Diskriminierung und harte Behandlung für viele gibt«, stellte die FSAW dazu fest. Die fortschrittliche Rhetorik kam nicht von ungefähr: Die FSAW war mit der Befreiungs- und Gewerkschaftsbewegung eng verbunden. Bereits 1943 hatte die damalige Communist Party of South Africa (CPSA) eine Kampagne gegen Passgesetze initiiert, aus der schließlich die Union of South African Women entstand. Letztere brachte es zwar nie zu größerer landesweiter Bedeutung, sehr wohl aber eine ihrer wichtigsten Aktivistinnen: Josie Palmer, die erste schwarze Frau in der Kommunistischen Partei, war als Gründungsmitglied der FSAW maßgeblich an deren Aufbau und Ausrichtung beteiligt.
Die Organisation initiierte schließlich den großen Frauenprotest am 9. August 1956. Bereits mit dem »Native Laws Amendment Act« von 1952 waren schwarze Südafrikaner gesetzlich verpflichtet worden, stets einen Pass bei sich zu tragen. Hintergrund war die Absicht des Regimes, Schwarze in die ihnen zugewiesenen »Homelands« zu verbannen, wenn sie keine Arbeit in der Stadt nachweisen konnten. Insbesondere schwarze Frauen, die mehrheitlich als Hausangestellte arbeiteten, konnten so von ihren weißen Chefs noch stärker unter Druck gesetzt und ausgebeutet werden. Bei Verlust des Jobs drohte ihnen die erzwungene Trennung von der eigenen Familie. Als die Regierung ab 1954 begann, die Passgesetze auch gegen Frauen in der Praxis durchzusetzen, kam es immer wieder zu Protesten, die ihren Höhepunkt an jenem denkwürdigen Tag im Jahr 1956 hatten. Viele der etwa 20.000 Frauen hatten die Kinder ihrer weißen »Arbeitgeber« zu der disziplinierten Demonstration mitgenommen, in deren Rahmen sie dem damaligen Premierminister Johannes StrijÂdom 100.000 Unterschriften gegen die Passgesetze überreichen wollten. Als der Regierungschef sie ignorierte, blieben die Frauen eine geschlagene halbe Stunde in völliger Stille vor dem Palast stehen und verließen den Ort schließlich mit Gesang.
Eine der Parolen damals lautete: »Strijdom, du hast dich mit den Frauen angelegt, du bist auf einen Felsen gestoßen.« Es wurde zumindest für das rassistische Regime Jahrzehnte später zur historischen Wahrheit. Nach Einführung der Passgesetze trotz aller Proteste hatten Südafrikas Frauen sich durch die Kampagne dagegen politisiert und waren zu einer wesentlichen Kraft der Befreiungsbewegung geworden. Die schaffte es in den 1980er Jahren schließlich, das Land mit Streiks und Protesten in einen Ausnahmezustand zu versetzen, der das Apartheidregime auch wirtschaftlich in die Knie zwang.
Diagnose: Sexismus, Rassismus, Armut – UN-Botschafterin kritisiert soziale Ursachen von HIV-Infektionen in Südafrika. Neoliberale toben
Charlize Theron war bisher nicht unbedingt bekannt als Kämpferin für die Rechte marginalisierter Frauen. In ihrem Geburtsland Südafrika hat die Hollywood-Schauspielerin nun allerdings eine Debatte darüber losgetreten, wie sehr das Land noch immer unter Rassismus und sozialer Spaltung leidet. In ihrer Eröffnungsrede zur Welt-AIDS-Konferenz in Durban erklärte die »Friedensbotschafterin« der Vereinten Nationen am 18. Juli, dass »HIV nicht nur durch Sex übertragen« werde, sondern auch »durch Sexismus, Rassismus, Armut und Homophobie«.
Es war mehr als eine UNO-Sonntagsrede, mit der die 40jährige die internationale Fachwelt beeindruckte. Es war eine Anklage. »Wir schätzen Männer mehr als Frauen, heterosexuelle Liebe mehr als schwule Liebe, weiße Haut mehr als schwarze Haut, die Reichen mehr als die Armen und Erwachsene mehr als Pubertierende«, erklärte sie. AIDS diskriminiere schließlich nicht selbst. Theron lieferte auch die Begründung: »Es ist der Kreislauf von Armut und Gewalt, der Mädchen im Teenageralter in Ehen gefangen hält und sie dazu zwingt, ihren Körper zu verkaufen, um sich versorgen zu können. Es ist der Rassismus, der es den Weißen und Reichen erlaubt, die Schwarzen und Armen auszubeuten und ihnen dann die Schuld an ihrem eigenen Leiden zu geben.«
Das freilich rief Südafrikas von Weißen dominierte neoliberale Opposition auf den Plan. »Wir haben es nicht geschafft, AIDS zu besiegen, weil wir es nicht geschafft haben, wissenschaftliche Erkenntnisse in Verhaltensänderungen umzusetzen«, hielt die Spitzenpolitikerin der Democratic Alliance (DA), Helen Zille, dem am folgenden Morgen auf Twitter entgegen. Darauf sprangen auch ultrarechte Hetzer an. Theron wurde zur Verräterin gestempelt. Die Schuld an der Lage von schwarzen Frauen, die in Südafrika bis heute wesentlich schlechtere Karrierechancen haben als weiße Männer, wurde einmal mehr den Opfern gegeben. Zille warf Theron gar Rassismus vor: Sie habe »gewissen Kategorien von Menschen« abgesprochen, selbständige Lebensentscheidungen treffen zu können, behauptete sie.
Erschienen am 5. August 2016 in der jungen Welt.