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Gärten der Hoffnung

1. April 2011 – 23:47

Über den allmorgendlichen Stau, der die Hauptverkehrsadern hinein nach Kapstadt verstopft, kann Kristin Hentschel nur müde lächeln. Wenn die Berlinerin um zehn vor acht ihre Wohnung verlässt, fährt sie der Blechlawine entgegen. Ihr Weg geht hinaus in die Townships der Cape Flats. Zwischen den Blechhütten lässt die Agrarwissenschaftlerin dort neben Auberginen und Spinat vor allem Hoffnung wachsen.

„Wir müssen kämpfen“, sagt Christina Madalane. Der Satz könnte so viel bedeuten in Gugulethu, einem der Townships, in denen die Arbeitslosenquote bei 40 Prozent liegt und die Armut immer noch unübersehbar ist. Doch für die Gärtnerin ist es nur der Spinat, mit dem sie ihr Tun hat. Es ist Dienstag, Ernte-Tag bei Abalimi Bezekaya, und die Blätter sind noch immer viel zu klein. Hentschel, die für ein Jahr die Gartenprojekte der südafrikanischen Entwicklungshilfe-Organisation betreut, lässt die Hälfte der grünen Bündel zurück. „Die Qualitätskontrollen sind manchmal schwierig“, räumt die 24-Jährige ein. „Wir planen im Voraus, was wann geerntet wird, aber das passt nicht immer“. Hentschel ist keine Verfechterin von identisch langen Mohrrüben und normgekrümmten Chili-Schoten, aber sie hat gelernt „Nein“ zu sagen. Sie muss hart bleiben, denn am Nachmittag taucht sie samt der Gemüselieferung in eine ganz andere, strengere Welt ein. Verkauft wird das Gemüse in Kapstadts Nobelvororten.

Eine Gemüsekiste kostet zwischen sieben und zehn Euro, je nach Größe. Drin ist, was die Township-Böden zur jeweiligen Saison hergeben, im Moment Salat, Auberginen, Paprika, Frühlingszwiebeln, Basilikum und Kürbisse – dazu ein DIN-A5-Blatt mit zwei Rezeptvorschlägen. Laut Produktionskoordinatorin Bridget Impey entspricht das Angebot dem Marktpreis für organisches Gemüse. Für die meisten Kunden, alles Abonnenten des Services, sind das Peanuts. Für die Abalimi Bezekaya, zu Deutsch „Heim-Anbauer“, die zwischen Blechhütten und Bahnschienen, auf verwilderten Schulgeländen oder unter Hochspannungsleitungen jede noch so kleine Fläche zu Ackerland machen, ist es ein Weg in ein selbstbestimmtes Leben. 130 Menschen haben in den 18 Gärten, die an das Verkaufsschema angeschlossen sind, Arbeit gefunden. Harvest of Hope – Ernte der Hoffnung – haben sie ihr Projekt getauft, mit dem Abalimi Bezekaya seit drei Jahren auch agrarische Kleinunternehmen in den Townships fördert. Der Großteil der von der 1982 gegründeten Mutter-Organisation geförderten Gärtner sind allerdings immer noch Selbstversorger, die kein Gemüse verkaufen. Für Hentschel ist das kein Problem. Mit einem Fragebogen hat sie evaluiert, wo die Kleinbauern stehen und was sie erreichen wollen. „Für viele ist es auch in Ordnung Selbstversorger zu bleiben“, sagt sie und warnt davor sie mit dem rasanten Wachstum der Organisation zu überrollen. Denn Abalimi Bezekaya hat hehre Ziele, will den Kundenstamm von derzeit gut 250 Gemüse-Abonnenten mehr als vervierfachen und künftig über Spenden auch die Suppenküchen in den Townships beliefern. Doch Hentschel hat Angst, dass in dem Eifer „die Leute, um die es geht, die Gärtner, vernachlässigt werden“. Sie findet es „schöner, wenn die einfachen Leute es lernen, sich selbst zu organisieren.“

In einer Nebenbaracke auf dem Gelände einer Schule in der Township Nyanga passiert an diesem Tag genau das. Eine Kollegin Hentschels unterrichtet gerade zwölf zukünftige Kleinbauern in einem der einwöchigen Kurse, die Abalimi Bezekaya regelmäßig anbietet. Das ist die Basis, dazu gibt es von der Organisation das Saatgut und später die Möglichkeit, sich in weiteren Kursen mit der Buchhaltung einer Gärtnerei vertraut zu machen. Der Ansatz reicht weiter als vom Keimling bis zur Frucht: Die Teilnehmer sollen auf Dauer lernen, selbständig zu planen und Verantwortung zu übernehmen. Hentschel, die im vergangenen Jahr ihr Agrarwissenschafts-Studium an der Humboldt-Universität mit Bachelor abgeschlossen hat, hilft dabei. Sie schaut, ob das Wissen aus den Kursen angewendet wird und greift ein, wenn sie Fehler entdeckt, hilft beim Pflanzen, Düngen und Mulchen. Die größtenteils aus dem Ostkap zugewanderten Menschen haben anfangs häufig Probleme mit dem sandigen Boden auf den flachen und windigen Cape Flats, die sich zwischen dem Tafelberg-Massiv und den Weinbergen um Stellenbosch erstrecken. „Es ist sehr schwer, unter diesen Bedingungen zu produzieren, da ist es beeindruckend, was die Leute machen“, sagt Hentschel, während sie ihren Pick-up rasant und zielstrebig von einer Gärtnerei zur nächsten durch die Straßen Gugulethus scheucht.

Die Township war vor ein paar Monaten international in die Schlagzeilen geraten, nachdem eine britische Touristin bei einem Überfall erschossen worden war. Ihr eigener steht Ehemann unter Verdacht, das Verbrechen organisiert zu haben. Ein Auslieferungsverfahren gegen den rasch heimgekehrten Unternehmer läuft. „Der soll mal schön hier in den Knast gehen“, regt sich Hentschel auf. Selber habe sie noch nie Angst gehabt in Gugulethu: „Was soll mir passieren?“ Sie ist eins geworden mit der Township, das zeigt neben dem Fahrstil auch Hentschels Mittagsessen: AmaGwinya, frittierte Teigbälle mit Fleischfüllung, frisch aus der Container-Küche am Straßenrand, das Stück für umgerechnet 50 Cent.

Nach ein paar Scherzen mit der Verkäuferin und den anderen Kunden geht es weiter, der Zeitplan ist eng gestrickt. Sobald das eingesammelte Gemüse im Hauptquartier sortiert und auf die Boxen verteilt ist, fahren die Mitarbeiter die Abholpunkte an, größtenteils Eliteschulen in den ehemals Weißen vorbehaltenen Stadtteilen. Da ist dann auch der Stress der Großstadt zurück, dem Hentschel am Morgen entflohen war. Eine Stadtjeep-Fahrerin rollt mit den Augen, weil ihr das Entladen der Gemüsekisten in der Schulausfahrt nicht schnell genug ist und auch die Wachfrau zieht es vor, zu motzen anstatt beim Auspacken zu helfen. „Ich hasse diesen Ort“, entfährt es Hentschel, aber an der nächsten Schule, die etwas weniger prunkvoll wirkt, aber dafür Parkplätze vor der Tür ihr Eigen nennt, hat sich der Ärger schon wieder gelegt. Und auch die Kunden – an diesem Tag ausschließlich Mütter, die ihre Kinder abholen – sind froh. Sie können die Ration Vitamine für die nächsten Tage gleich stressfrei mitnehmen – ohne weiteren Umweg auf der Heimfahrt in der Blechlawine.

Erschienen am 1. April 2011 in der Berliner Zeitung.