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Hausaufgaben für eine bessere Zukunft

3. Januar 2011 – 00:39

Dortmunder Lehrerin arbeitet mit Kindern in südafrikanischer Township

Aus ihrer Haustür kann Joana Klein ziemlich genau drei Meter geradeaus schauen. Dann steht die Blechhütte der Nachbarn einem weiter schweifendem Blick im Weg. Die junge Frau aus Frohlinde wohnt in Walmer Township, einem der am dichtesten besiedelten Viertel der südafrikanischen Hafenstadt Port Elizabeth. Als Freiwillige beim deutsch-südafrikanischen Verein Masifunde Bildungsförderung blickt sie dort – den optischen Einschränkungen zum Trotz – ein Jahr lang über den eigenen Tellerrand hinaus.

Für Joana ist Südafrika kein Neuland. Von Ende 2008 an hat sie bereits einmal für ein Jahr als Freiwillige in Mamelodi gearbeitet. Im größten Township der Metropolregion Tshwane, zu der auch die Hauptstadt Pretoria gehört, hatte die angehende Lehrerin an einer Grundschule eine Bücherei geleitet, Förderunterricht gegeben und eine Tanzgruppe gegründet. Auf Besuch in Port Elizabeth lernte sie 2009 Masifunde kennen. „Führe mich nicht in Versuchung, ich kann nicht noch ein Jahr hierher“, habe sie gedacht als Masifunde-Direktor Jonas Schumacher ihr damals anbot, für den Verein zu arbeiten, erzählt Joana und lacht. Doch der Kontakt riss nie ab und kurz nachdem sie ihren Grundschullehramt-Masterabschluss an der TU Dortmund absolviert hatte, saß sie Anfang November schon wieder im Flugzeug nach Südafrika.

Bei Masifunde soll die 25-Jährige den Hausaufgabenklub neu organisieren. 200 Kinder fördert der in den vergangenen fünf Jahren rasant gewachsenen Verein in Walmer Township mit Bildungsangeboten, von denen 40 Vollstipendien für den Besuch der ehemals Weißen vorbehaltenen Qualitätsschulen außerhalb des Townships erhalten. In Südafrika ist das die Eintrittskarte in eine bessere Zukunft. Die Hausaufgabenbetreuung ist nötig, weil viele Eltern selbst keine gute Bildung bekommen haben und mit den Schularbeiten ihrer Kinder oft überfordert sind. Zudem fehlt es häufig an Grundlegendem: Einem Schreibtisch, Ruhe, elektrischem Licht oder schlicht Zeit. Weil die Zahl der von Bildungspaten in Deutschland geförderten Kinder mit jedem neuen Schuljahr weiter ansteigt, soll Joana das Betreuungskonzept in den nächsten Monaten überarbeiten. „Es liegt an mir, was ich jetzt daraus mache“, sagt Joana, die an ihrer Aufgabe lernen will. Das Jahr sei nämlich eine gute Vorbereitung aufs Referendariat, auch den Einblick in die Unterrichtsgestaltung und die Lehrpläne der südafrikanischen Schulen findet sie interessant.

Dass die Arbeit, die Joana und Masifunde in Südafrika machen, so wichtig ist, liegt am nach wie vor bestehenden Zwei-Klassen-Schulsystem am Kap, das die Apartheid nur durch finanzielle Selektion ersetzt hat. Die Schulgebühren an den guten Schulen können sich die meisten Eltern aus den Townships schlicht nicht leisten. „In den Township-Schulen fehlen gut ausgebildete, motivierte Lehrer“, beschreibt Joana den größten Mangel dort. Die besten Kräfte werden von den Privatschulen abgeworben, die mehr Lohn zahlen und außerdem bessere Arbeitsbedingungen bieten. Denn im Township mangelt es nicht nur an Lehrern. Die Ausstattung ist schlecht, Lehrmaterialien fehlen und die Klassenzimmer sind mit bis zu 60 Kindern überfüllt. Während der Werkunterricht-Lehrer an der Walmer High School, auf die der Großteil der Township-Kinder ab der achten Klasse geht, fast flehentlich um eine gespendete Feile bittet, weil seine Kinder so ein Gerät noch nie in ihren Händen gehalten hätten, spielen die Schüler an der Clarendon Park Grundschule drei Kilometer weiter im Sportunterricht Tennis oder vergnügen sich im schuleigenen Schwimmbecken.

Die Masifunde-Kinder pendeln so zwischen zwei Welten: Den noblen Vierteln, in denen die Schulen liegen, und der unübersehbaren Armut im Township mit den eigenen, oft aus Wellblech bestehenden vier Wänden. Damit sie nicht entwurzeln und außerdem ihr Wissen im Township weitergeben, treffen sich die Kinder einmal pro Woche im Nachmittagsunterricht mit Gleichaltrigen von den Township-Schulen. In den Gruppenstunden geht es dort um praktisches Alltagswissen, Aufklärung, aber auch um Spaß. Der Unterschied zwischen den Schülern sei riesig, sagt Joana. Die Stipendiaten beteiligten sich stärker, schneller und selbstbewusster im Unterricht und sprächen ein wesentlich besseres Englisch. Für generell schlauer hält sie die Kinder, die außerhalb des Townships zur Schule gehen, aber freilich nicht: „Viele der Kinder hier hätten auch was auf dem Kasten, aber ihr Talent verkümmert, weil es niemand fördert.“

Dem will die junge Frau in den nächsten zehn Monaten nachhaltig entgegenwirken und nimmt dafür auch ein zweites Weihnachten fernab der Heimat auf sich. „Das ist schade, weil es das erste Weihnachten mit meiner kleinen Nichte wäre“, sagt Joana. Schwermütig sei sie aber nicht. „Weihnachten ist für mich Familie, wenn die nicht da sind, ist auch kein Weihnachten.“ Also falle das dieses Jahr einfach aus. Stattdessen will sie die Festtage mit ihren Kollegen am Strand verbringen – bei Temperaturen um die 25 Grad nicht die schlechteste Alternative.

Erschienen am 3.1.2011 in der Westfälischen Rundschau.