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Im Township zuhause

11. Juni 2010 – 09:08

Osnabrücker Studentin arbeitet und lebt in südafrikanischem Armenviertel

Den Sicherheits-Empfehlungen für Südafrika zufolge sollte man Anne-Catrin Hummel nicht einmal besuchen. Die Osnabrücker Studentin wohnt im Walmer Township, einem der ärmsten Viertel der Millionenstadt Port Elizabeth. Für Touristen ist hier eigentlich No-Go-Area, doch die 24-Jährige hat bei einer Gastfamilie ein Zimmer bezogen. Im gleichen Haus leben noch die Vermieterin, deren Mutter, Bruder und drei Kinder.

Über die ersten Monate hatte Anne-Catrins Zimmer nicht einmal eine Tür. Die ist nun da, die Türangeln fehlen allerdings immer noch. Die Studentin nimmt’s locker: „So chaotisch es auch manchmal ist, so sehr genieße ich den Trubel auch.“ Angst hatte sie auch ohne Zimmertür nie im Township, selbst die anfängliche Unsicherheit war nach einer Woche weg – „auch wegen der vielen Leute im Haus“, wie sie sagt. „Die Familie hat ein Auge auf mich.“

Die junge Frau, die an der Fachhochschule Osnabrück International Business und Management studiert, wohnt bereits zum zweiten Mal in Südafrika. Bereits 2008 hat sie an der Universität in Port Elizabeth ein Auslandssemester absolviert. Damals wohnte sie allerdings abgeschottet hinter Elektro-Zaun im noblen Strand-Viertel. Mit dem Umzug ins Township hat sich ein Wunsch erfüllt. „Ich bekomme hier die Bräuche und Kultur der Xhosa ganz nah mit und lerne jeden Tag etwas Neues“, schwärmt Anne-Catrin. Seitdem sie 2008 als Freiwillige im Hausaufgabenclub des deutsch-südafrikanischen Vereins Masifunde Bildungsförderung in Walmer Township half, ist sie den Kindern dort verbunden. „Ich hatte 2008 das Gefühl, hier noch nicht fertig zu sein“, erzählt Anne-Catrin. Als sich die Möglichkeit ergab, ihre Bachelor-Arbeit über den Beteiligungsprozess für ein neues Jugendzentrum in dem Township zu schreiben, sagte sie sofort zu.

Masifunde ist in der Zwischenzeit rasant gewachsen. Mit 250 Kindern und Jugendlichen arbeitet der Verein inzwischen. Neben Patenschaften für den Besuch guter Schulen, der Hausaufgabenhilfe und Nachmittagsstunden zum Life-Skill-Training können die in teils erschreckender Armut aufwachsenden Kids in Kunst-, Sport- und Schülerzeitungsgruppen ihren Talenten und Vorlieben nachgehen. Das kleine Jugendzentrum des Townships reicht da längst nicht mehr aus, ein neues Gebäude – ganz nach den Vorstellungen der Jugend von Walmer – soll her. Nachdem bei einer Konferenz im Herbst 2009 Vertreter der wichtigsten Township-Jugendgruppen ihre Träume und Ziele abgesteckt hatten, übernahm Anne-Catrin für Masifunde im Februar die Koordination der involvierten Jugendlichen. In sechs Planungsgruppen sammeln sie konkrete Ideen zu Musik- und Kunsträumen und überlegen sich Konzepte für eine geplante Cafeteria und Bibliothek. Anne-Catrin mischt sich in die eigentliche Planung so wenig wie möglich ein, gibt aber Anleitungen für realistische Zielsetzungen, strukturierte Planungs-Diskussionen oder zur Spenden-Werbung. Die Spendenmittel für den Bau des Zentrums hat Masifunde bereits sicher, auch den Architekten haben die Jugendlichen ihre Vorstellungen schon erfolgreich präsentiert. „Die Planung läuft wirklich sehr gut, weil die Jugendlichen mit vollem Einsatz dabei sind“, zeigt sich Anne-Catrin fasziniert von der allwöchentlichen Mitarbeit der Junior-Planer. „Jetzt geht es darum, das Geld für das Grundstück zusammen zu bekommen.“

Noch Ende dieses Jahres sollen die Bauarbeiten beginnen, doch bis dahin wird Anne-Catrin schon wieder zurück in Deutschland sein, um ihre Abschlussarbeit fertig zu schreiben. Trotzdem ihr jetziges Studium eher auf Management-Tätigkeiten in der Wirtschaft ausgelegt ist, will sie sich nach der Bachelor-Prüfung mit einem Master-Studiengang weiter für die Projektarbeit in gemeinnützigen Organisationen schulen. „Ich will später in einem Bereich arbeiten, in dem ich positiven Wandel sinnvoll mitgestalten kann“, erklärt die engagierte Studentin ihren Antrieb. „Und wer weiß“, sagt sie, „vielleicht klappt es ja auch mit einem Master-Semester hier in Port Elizabeth.“

Erschienen am 11.6.2010 in der Neuen Osnabrücker Zeitung.