Trockenübungen und Eiswürfel
10. September 2012 – 08:38Namibias Nationalmannschaft bereitet für die Eisstock-WM vor
Scheppernd knallt der Eisstock auf die Fliesen und rutscht über die Terrasse des Windhuker Goethe-Zentrums der Daube entgegen, einer kleinen Holzscheibe, die im hier nur gedachten Zielkreis liegt. Jessy Mweshipopya, amtierender namibischer Meister im Eisstockschießen, trägt seine Trainingsjacke dabei nur wegen des Nationalmannschaftslogos. Es herrscht bestes T-Shirt-Wetter, die Nachmittagssonne sengt über Windhuk und eine Eishalle gibt es im ganzen Land nicht. Doch ganz unvorbereitet will die Nationalmannschaft Namibias dennoch nicht zur 9. Eisstock-Weltmeisterschaft reisen, die am 5. März im bayrischen Waldkraiburg beginnt. Die Trockenübungen auf der improvisierten Trainingsbahn sollen Zielsicherheit verleihen und um sich an die Kälte bei der WM zu gewöhnen, verrät Mweshipopya, lässt er Eiswürfel in seinen Händen schmelzen. Bei der Anekdote muss er selbst verlegen lachen.
„Es ist schon so, dass wir da etwas gehandicapt sind“, beschreibt Detlev Pfeifer die Trainingsbedingungen. Der gebürtige Rüsselsheimer lebt seit 15 Jahren in Namibia und ist ebenfalls erst unter der Sonne Namibias zum Eisstocksport gekommen. Er hatte von der ersten Afrika-Meisterschaft 2005 in der Zeitung gelesen, eine Woche später ging er zum Training. Inzwischen hat der 54-Jährige selbst einige Turniere gespielt, wobei es bei Afrika-Meisterschaften mit Kenia nur einen einzigen Gegner gibt. Ausgetragen werden sie in Turnhallen oder auf Parkplätzen, nie auf Eis. Nachdem die Halle des Deutschen Turn- und Sportvereins in Windhuk vor zwei Jahren einen sensibleren Belag bekam, steht die namibische Mannschaft sogar ganz ohne regelmäßigen Trainingsplatz da. Dass sie hin und wieder am Goethe-Zentrum üben können, verdanken die Eisstockschützen Pfeifer, der dort Leiter der Bibliothek ist. „Mein Wunsch wäre, die erste Eisstockbahn in Afrika zu bauen“, sinniert der ruhige Visionär und fügt schnell hinzu: „aber Sommerbelag, nicht mit Eis“.
Mit bunten Tafelmagneten erklärt er auf dem Kaffeetisch seines Büros die Regeln des Sports, erzählt, dass der Eisstock im Gegensatz zum Curling geworfen wird, dass die Daube, der die Eisstöcke so nah wie möglich kommen müssen, innerhalb des Zielfeldes verschoben werden darf und dass der Eisstocksport Verband Namibias der einzige registrierte Sportverband ist, der in Namibia einen Wintersport ausübt. Für die WM rechnet er sich sogar einiges aus. Namibia tritt in der B-Liga gegen Mannschaften wie Paraguay und Kolumbien an und versucht an die Leistungen von 2008 anzuknüpfen, als das Team von zwölf teilnehmenden Nationen Siebter wurde – eine deutliche Steigerung zum Vorletzten Platz bei der ersten namibischen WM-Teilnahme 2004. „Besser als beim letzten Mal“, will Pfeifer nun abschneiden. Diese Bescheidenheit geht selbst dem zurückhaltenden Mweshipopya zu weit. „Ich glaube wir können gewinnen und in die A-Liga aufsteigen“, sagt er felsenfest und schiebt dann doch noch ein verlegenes Lächeln hinterher. Selbst bedrohlicher Spielermangel – noch vor ein paar Wochen standen lediglich drei der fünf Akteure fest – den Optimismus nicht trüben. Pfeifer startete einen Aufruf im lokalen Radio – und wurde fündig. Neben einem in Berlin lebenden Namibier, der zwar noch nie gespielt hat, aber dennoch als Ersatzspieler nominiert wurde, fanden die namibischen Eisstockschützen in Armin Komma sogar einen neuen Hoffnungsträger. Der ist zwar deutlich hörbar waschechter Bayer, hat aber eine Namibierin geheiratet und besitzt eine Wohnung im namibischen Swakopmund. Nun ist er dem namibischen Verband beigetreten, das genügt. „Ich bin stolz darauf im Team Namibia mitwirken zu dürfen, es ist eine Ehre für mich, das Land meiner Frau zu vertreten“, sagt der begeisterte Hobbyspieler aus dem Bayrischen Wald mit leuchtenden Augen. Seine Erzählungen vom täglichen Eisstockschießen auf zugefrorenen Bergseen müssen für die anderen wie eine Geschichte aus dem Paradies klingen.
Die namibische Eisstockschießgemeinschaft ist ein Aufeinandertreffen verschiedenster Charaktere, die die in „Cool Runnings“ verfilmte Geschichte der jamaikanischen Bobmannschaft bei den Olympischen Winterspielen 1988 in Calgary locker in den Schatten stellt. Neben dem sanften Kulturbotschafter Pfeifer, dominieren hemdsärmelige Deutsch-Namibier die Mannschaft. Mweshipopya, der schüchterne Gärtner aus dem ehemaligen Ovamboland, ist der einzige Schwarze, der in Windhuk trainiert. Seit 2006 ist er im Team, ein Exot gerade bei den Weltmeisterschaften, das ist ihm klar. „Die Leute in Italien haben gesagt, ich soll zeigen, dass Schwarze Eisstock spielen können – und ich hab’s ihnen gezeigt“, erzählt er von den vergangenen WM-Spielen 2008 im italienischen Ritten. Der Stolz über seine erreichten Titel, die Medaillen und Turnier-Reisen steht Mweshipopya ins Gesicht geschrieben. „Ich bin froh, ich werde nie aufhören Eisstock zu spielen“, sagt der jugendlich wirkende, gertenschlanke 37-Jährige. Seine Eltern, die 750 Kilometer nördlich in der Ortschaft Eenhana nahe der angolanischen Grenze in einer Rundhütte leben, haben ihn noch nie spielen sehen, sie kennen den Sport nur von Fotos.
Mweshipopya will die beiden Welten, in denen er sich bewegt, dennoch verknüpfen. Weil er, der monatlich nur umgerechnet 140 Euro verdient, noch Spender sucht, die die letzten 300 Euro seiner Reise finanzieren, hat er jeden, der mindestens 100 Euro gibt, für ein Wochenende in sein Heimatdorf eingeladen. „Dort können sie die Tradition der Ovambo kennenlernen, unser Essen, unsere Musik“, sagt er. Pfeifer will sogar sämtliche WM-Teilnehmer aus aller Welt zu einem Eisstockturnier in den ländlichen Norden Namibias einladen. Es geht um den kulturellen Austausch, aber auch darum, den Sport bekannter zu machen. Zweimal war Eisstockschießen bereits olympische Schaudisziplin, Pfeifer träumt von der Anerkennung. „Das wäre natürlich der Hit, denn dann wäre Namibia zum ersten Mal bei Winterspielen vertreten.“
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