COSATUs Angst vor der eigenen Courage
1. Dezember 2010 – 13:57Südafrikanischer Gewerkschaftsbund kämpft zum 25. Geburtstag um Einfluss
„Ein Riese ist geboren worden und er will es mit allen Aufnehmen, die ihm im Kampf für Arbeiterrechte und Freiheit im Weg stehen.“ Am 1. Dezember 1985 feierte Cyril Ramaphosa auf der Gründungskonferenz mit seinem Geschichte gewordenen Ausruf den neu formierten Kongress südafrikanischer Gewerkschaften (COSATU). Feinde der neuen Macht, das war nicht nur dem damaligen Generalsekretär der Bergarbeiter-Gewerkschaft NUM klar, waren die Apartheid-Regierung und die weißen Unternehmer, die sich an der rassistisch unterdrückten, größtenteils schwarzen Arbeiterklasse bereicherten. Die Zeiten haben sich geändert, doch der Riese hat noch immer viel zu tun. 25 Jahre später haben sich die Gegner jedoch geändert.
Als Jacob Zuma Ende 2007 mit den Stimmen der Parteilinken, der Kommunisten und der Gewerkschafter ANC-Präsident wurde, sah sich Südafrikas Linke kurz vor dem Ziel. Endlich sollte die Arbeiterklasse mehr Einfluss in der Regierung finden. Endlich sollte die neoliberale Politik Thabo Mbekis, der zehn Jahre zuvor ausgerechnet jenen Ramaphosa im Kampf um Nelson Mandelas Stuhl im Präsidentenbüro ausgestochen hatte, ein Ende finden. Doch die Liebe hielt nur einen Sommer. Weil wirkliche Reformen ausblieben, versprochene Arbeitsplatzschaffungsprogramme erfolglos nur WM-bezogen und nicht nachhaltig waren und die Gewerkschaften vor allem mehr Mitsprache in Regierungsentscheidungen haben wollen, hatte COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi schon im April diesen Jahres gedroht, seine Mitglieder nicht länger als „Stimmvieh“ bereitzustellen. Die seit dem Ende der Apartheid 1994 zwischen dem Gewerkschaftsbund, dem regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) bestehende Tripartite-Allianz drohte zu bröckeln. COSATU sorgte für weitere politische Aufruhr, als führende Gewerkschafter um Vavi zunächst mehrfach Korruption und Vetternwirtschaft im ANC kritisierten und schließlich auch noch eine Konferenz mit ANC-kritischen Nichtregierungsorganisationen abhielten – ohne die Allianzpartner einzuladen. Über politische Hyänen im ANC, die sich am Volk bereichern, schimpfte Vavi und bemängelte die „Raubtiergesellschaft“ in der Regierung.
Trotzdem: Der vielfach herbei spekulierte Ausbruch COSATUs aus der Regierungsallianz blieb aber bis heute aus. Der 1,8 Millionen Mitglieder starke Gewerkschaftsbund hat Angst, seine Ziele in Unabhängigkeit von der ANC-dominierten Regierung schlechter durchsetzen zu können und dadurch an Bedeutung zu verlieren. Der einstige Riese ist immer noch ein ernst zu nehmender Kontrahent in Lohnrunden und Tarifkonflikten, das haben nicht zuletzt vor drei Monaten die massiven Streiks im öffentlichen Dienst bewiesen. Den eigenen Anspruch aber, sein Mandat über die registrierten Mitglieder hinaus auf die gesamte südafrikanische Arbeiterklasse auszudehnen und schlussendlich am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mitzuarbeiten, verliert COSATU immer weiter aus den Augen. Vavis verbale Scharmützel mit der Regierung sind den südafrikanischen Medien ein lieb gewordenes Fressen, konnten aber freilich auch nichts daran ändern, dass die offizielle Arbeitslosenquote in Südafrika auf rund 25 Prozent anstieg – rechnet man die Menschen hinzu, die die Suche nach Jobs bereits aufgegeben haben, sind es sogar über 35 Prozent.
Als hätte es noch eines weiteren Beweises für die Zahnlosigkeit der Drohungen aus dem Gewerkschaftshaus bedurft, gab COSATU kürzlich bekannt, den ANC bei den im kommenden Jahr anstehenden Regionalwahlen unterstützen zu wollen – „nicht jedoch Kandidaten, die wir für inkompetent, faul oder korrupt halten“, wie Präsident Sdumo Dlamini fast entschuldigend einschränkte. Er sähe in der angekündigten Unterstützung keinen Widerspruch, so Dlamini, denn schließlich sei „die Unterstützung für den ANC bei Wahlen nichts Neues“. Ramaphosas Riese ist zum 25. Geburtstag ein aufblasbarer, dem vor lauter Angst vor der eigenen Courage die Luft ausgeht.
Erschienen am 1.12.2010 in junge Welt.