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Der Tod fährt mit

30. März 2011 – 16:28

Über Südafrikas Kriminalitätsstatistik wird viel berichtet. Eine andere tödliche Gefahr ist wesentlich realer: Straßenverkehr. Nun sollen Punkte helfen.

Jonathan Shapiro alias Zapiro, Südafrikas bekanntester Karikaturist, hat das Problem gewohnt treffend zu Papier gebracht. Neben einem Messer und einer Pistole ist in seiner Zeichnung ein niedlich wirkender, torkelnder Mann bei einem Auto zu sehen, den Schlüssel in der Hand. Zapiro illustriert die Rangliste der Mordwaffen in Südafrika – der erste Preis geht an den betrunkenen Herrn.

Mit 13.929 Verkehrstoten zwischen Juli 2009 und Juni 2010 ist Südafrika weltweit das Land mit den meisten Verkehrstoten in Relation zur Einwohnerzahl. Mehr als die Hälfte der verunglückten Fahrer stand einer Studie des Medizinischen Forschungsrates von Südafrika (MRCSA) zufolge dabei unter Alkoholeinfluss. Der durchschnittliche Blutalkoholgehalt der Ãœberführten lag sogar drei bis vier Mal über dem erlaubten Limit von 0,5 Promille. Von den zu Tode gekommenen Fußgängern waren ebenfalls knapp 60 Prozent betrunken. Auf manchen Weinflaschen findet sich bereits der Hinweis “Don’t drink and walk” (Nicht trinken und gehen) – und er ist ernst gemeint.

Südafrikas Regierung bekämpft das von der Presse häufig als “Straßen-Gemetzel” bezeichnete Problem seit Langem mit immer härteren Medien-Kampagnen. Noch allerdings recht erfolglos. “Die Versuche, an das Verhalten der Verkehrsteilnehmer auf südafrikanischen Straßen zu appellieren, sind anscheinend nicht passend genug, um das Problem zu lösen”, stellte die Verkehrspsychologin Karien Venter auf einem internationalen Straßenverkehrskongress im vergangenen Jahr in Lissabon fest. Es fehle an verlässlichen Daten, um das Problem beschreiben zu können.

Die Signale allerdings sind deutlich. Am Vorabend der Fußball-Weltmeisterschaft rückte das Thema wieder in den Fokus der Öffentlichkeit: Die erst 13-jährige Urenkelin Nelson Mandelas starb bei einem Unfall auf dem Nachhauseweg vom WM-Eröffnungskonzert, der Fahrer stand unter Alkoholeinfluss. Mandela sagte darauf seine Teilnahme an der Eröffnungsfeier ab. Das ganze Land trauerte, doch der mahnende Effekt verpuffte im Fußball-Spektakel.

Zum Jahreswechsel löste eine Kampagne, die mit kaum versteckten Vergewaltigungsdrohungen martialisch aussehender Häftlinge vom Trinken und Fahren abschrecken wollte, immerhin eine Diskussion um die Zustände in südafrikanischen Gefängnissen aus. Wer in Südafrika betrunken am Steuer erwischt wird, findet sich nämlich in der Regel für zumindest eine Nacht hinter Gittern wieder.

Doch die Berichte über Dutzende Festnahmen betrunkener Fahrer bei Verkehrskontrollen rissen ebenso wenig ab wie die Nachrichten von alkoholbedingten Unfällen. Und die Zahl der Verkehrstoten stieg im Vergleich zum Vorjahr weiter. Besonders frappant: Während in Südafrika im vergangenen Jahr auf 100.000 Einwohner 30 Verkehrstote kamen, waren es in Deutschland weniger als fünf – bei sechsmal so viel zugelassenen Kraftfahrzeugen. Das südafrikanische Verkehrsministerium schätzt, dass 70 bis 80 Prozent der Unfälle dabei auf menschliches Versagen zurückzuführen sind: neben Alkohol am Steuer vor allem überhöhte Geschwindigkeit, mangelnde Verkehrssicherheit alter Autos und riskante Überholmanöver.

Jetzt soll ein neues Punktesystem dem Problem nachhaltiger Einhalt gebieten. Die “administrative Zuordnung von Straßenverkehrsvergehen” – den Südafrikanern hauptsächlich unter der Abkürzung AARTO bekannt – soll ähnlich der Flensburger Verkehrssünder-Kartei Delikte langfristig erfassen. Außerdem sollen die Strafen landesweit vereinheitlicht und einfacher verfolgbar gemacht werden. Bisher war das eine Aufgabe der ohnehin oft hoffnungslos überlasteten regionalen Gerichte.

Das federführende Verkehrsministerium will so ausdrücklich das Verhalten von Autofahrern ändern, scheint es damit aber nicht wirklich eilig zu haben. Obwohl die gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Punktesystem bereits vor zwölf Jahren geschaffen wurden, wird der für den 1. April dieses Jahres angepeilte Einführungstermin erneut verschoben. Verkehrsminister Sibusiso Ndebele bestreitet gar, jemals ein Datum festgelegt zu haben: Es sei immer nur um das in Südafrika am 1. April beginnende Finanzjahr gegangen. Der Terminstreit sorgte in den vergangenen Wochen zwar für reichlich Verwirrung in der südafrikanischen Presse, wird das Vorhaben aber nicht grundsätzlich gefährden. Ein Pilotprojekt im Großraum Johannesburg läuft bereits erfolgreich.

Caro Smit, die Vorsitzende des Vereins South Africans against Drunk Driving (Südafrikaner gegen alkoholisiertes Fahren, SADD), glaubt daran, dass AARTO Wirkung zeigen kann. “Die Leute scheinen mehr Angst vor den strafrechtlichen und finanziellen Folgen zu haben als davor, womöglich sich selbst oder andere umzubringen”, kommentiert Smit. Sie hat SADD 2006 gegründet, nachdem ihr Sohn bei einem alkoholbedingten Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. AARTO könne allerdings nur effektiv sein, wenn es künftig auch mehr Verkehrskontrollen gebe, fügt Smit hinzu. “Jeder Fahrer sollte sechs Mal im Jahr getestet werden”, verlangt die SADD-Vorsitzende, nur so könne sich tatsächlich etwas am Verhalten der Südafrikaner ändern.

Denn da sieht Smit die Wurzel des Problems. Alkohol am Steuer sei “sozial stark akzeptiert in Südafrika – weil man damit ungeschoren davon kommt”. Mit einer Name and Shame-Kampagne will SADD das ändern: In Kooperation mit Gerichten veröffentlicht der Verein die Namen der Ãœberführten in den Tageszeitungen des Landes. In Kapstadt und Durban läuft das Projekt bereits, bald soll es auf das gesamte Land ausgeweitet werden. So werden die Täter über den Freundeskreis hinaus öffentlich gebrandmarkt – nicht nur als Trinker. Denn wer mit Alkohol am Steuer erwischt wird, handelt sich in Südafrika automatisch auch eine Vorstrafe ein. “Das heißt, man ist dann ein Krimineller”, sagt Smit. “Und die Leute wollen keine Kriminellen sein.”

 

Erschienen am 30. März 2011 auf ZEIT online.