Politik  -   Wirtschaft  -   Menschen  -   Reisen            

Gefährlicher Polit-Poker

1. Dezember 2012 – 06:57

Farmarbeiter-Streik in Südafrika droht zu eskalieren. ANC ignoriert Arbeiterforderungen, Provinz-Premier will militärische Lösung.

Der Verrat hätte unverhohlener kaum kommen können. Vor zwei Wochen hatte Südafrikas Landwirtschaftsministerin Tina Joemat-Pettersson zigtausende streikende Farmarbeiter in der Provinz Westkap mit solidarischen Phrasen und dem Versprechen höherer Mindestlöhne zurück auf die Felder gedrängt. Nun stellt ihre für das Arbeitsressort zuständige Kabinettskollegin Mildred Oliphant kühl und nüchtern fest, dass eine Neuverhandlung der Lohnuntergrenze gar nicht möglich sei – weil ihr Ministerium den aktuellen Mindestsatz von 69,39 Rand (6,09 Euro) pro Tag erst im März dieses Jahres abgesegnet habe. Das Abkommen mit den Farmerverbänden gelte per Gesetz mindestens zwölf Monate. „Ich hoffe auch, dass es ziemlich klar ist, dass das Ultimatum bis zum 4. Dezember praktisch unerreichbar ist“, beendet die Ministerin des African National Congress (ANC) ihr Statement lapidar. Dass die Farmarbeiter damit nicht zufrieden sein werden, dürfte noch klarer sein. Für Sonntag haben sie eine Massenkundgebung angekündigt, ab Dienstag soll wieder gestreikt werden. Auf Unterstützung der landesweit stärksten, neoliberalen Oppositionspartei Democratic Alliance (DA), die im Westkap regiert, können sie dabei nicht hoffen. Provinz-Premier Helen Zille forderte bereits die Armee zur „Befriedung“ neuer Arbeitskämpfe an.

Aus Zille spricht die Angst der Farmer. Zwei Wochen lang hatten die Farmarbeiter Anfang November für bessere Arbeitsbedingungen und Tageslöhne von 150 Rand gestreikt. Etliche Weinfelder gingen bei den Protesten in Flammen auf, die Staatsmacht antwortete mit schwerer Polizeipräsenz, Tränengas und Gewehrfeuer. Zwei Farmarbeiter starben durch Polizeigeschosse, Zeugen sprachen von scharfer Munition. Doch gebrochen ist der Widerstand der in bitterer Armut und perspektivloser Verzweiflung lebenden Landarbeiter damit nicht. „Die können ruhig schießen, das ist ok, aber wir schießen zurück“, drohte ein Arbeiter, der anonym bleiben wollte, im Anschluss an eine Kundgebung im Dorf De Doorns, dem Ausgangspunkt der ersten Streiks, 140 Kilometer nordöstlich von Kapstadt. Zu verlieren haben die Arbeiter kaum etwas. Bei 132 Euro monatlich liegt der Mindestlohn, doch davon ziehen die Farmer noch Kosten für die Unterbringung auf der Farm, Strom, Wasser und die Einkäufe im Farmladen ab. „Am Ende gehst du mit 20 Rand nach Hause“, klagt der junge Arbeiter. Das sind 1,76 Euro – für einen 9-Stunden-Tag plus Überstunden.

Doch auch die Farmer machen keine Anstalten, die Eskalation des Konflikts kurz vor der Traubenernte mit Zugeständnissen abzuwehren. Im Gegenteil, der Provinzsekretär des Gewerkschaftsbundes COSATU im Westkap, Tony Ehrenreich, berichtete unter der Woche von einem „Bürgerkrieg auf niedriger Ebene“, bewaffneten Sicherheitsdiensten auf den Farmen und militanten Farm-Wehren gegen die Streikenden. Geradezu zynisch nutzte Zille anschließend Ehrenreichs Schilderungen, um beim Militär offiziell um die Entsendung von Truppen „in friedenserhaltender Rolle“ anzufragen. Die Aufgaben der Soldaten umriss sie allerdings klar: vermeintlich „ungesetzliche“ Streiks verhindern und Schäden von Farmbetrieben abwenden. Mit den Anliegen der Farmarbeiter, den Hungerlöhnen und miserablen Arbeitsbedingungen, beschäftigte sich Zille freilich nicht. Stattdessen behauptete sie allen Ernstes, temporäre Saisonkräfte hätten die restlichen Farmarbeiter mit Einschüchterungen zum Streiken gezwungen. Im Gespräch mit junge Welt in De Doorns stützte diese These nicht ein einziger Arbeiter. Doch um die Meinung der Farmarbeiter geht es in Kap-Provinz nicht. Der Streik ist zum politischen Poker geworden. Die ANC-geführte Staatsregierung freut sich insgeheim über die Destabilisierung der einzigen DA-geführten Provinz, während Zilles Partei selbst loyal zu den Farmern steht und die Schuld auf die Arbeitsministerin schiebt. Zu einer Lösung werden die verhärteten Fronten allerdings genauso wenig führen, wie der Ruf nach der Armee. Dreieinhalb Monate nachdem Polizei-Sondereinheiten beim ähnlich motivierten Bergarbeiterstreik in Marikana 34 Menschen innerhalb von Minuten mit halbautomatischen Gewehren regelrecht niedermetzelten, stehen die Zeichen in der Kap-Republik damit erneut auf Konfrontation.

Erschienen am 1. Dezember 2012 in junge Welt.