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Glückwünsche für Mandela

18. Juli 2012 – 10:53

Die Südafrikaner wünschen ihrem Freiheitshelden ein langes Leben und sich selbst ein besseres Gesundheitssystem

Wenn Millionen Südafrikaner heute Morgen um 8 Uhr in einer landesweiten Aktion „Happy Birthday Madiba“ singen, dann ist das Geburtstagsständchen nicht nur ein lautstarker Liebesbeweis an ihren Freiheitshelden sondern auch der Wunsch nach moralischem Halt. Trotzdem der nun 94-jährige Nelson Mandela, von seinen Landsleuten liebevoll nach seinem Clan-Namen Madiba genannt, sich bereits seit Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, ist der Friedensnobelpreisträger noch immer eine der wichtigsten Persönlichkeiten im Land. Mandela steht für die Aussöhnung nach der Apartheid und wie kaum ein zweiter im Land bei allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen für die Hoffnung auf ein besseres und gerechteres Südafrika.

Die Menschen am Kap eint daher auch die Sorge um Mandela. Besonders deutlich wurde das bei den zwei Krankenhaus-Aufenthalten des einstigen ANC-Führers in den vergangen anderthalb Jahren, als Millionen ihre Genesungswünsche überbrachten. Der gebrechliche Altpräsident kämpfte mit langwierigen Magenbeschwerden und infolge der Zwangsarbeit während seiner 27-jährigen Haft auch mit chronischem Lungenleiden, hat sich in den vergangenen Monaten jedoch wieder erholt. „Bei guter Gesundheit“ sei Mandela, ließ Präsident Zuma nach einem Besuch bei Mandela in der vergangenen Woche wissen und seine langjährige Sekretärin Zelda la Grange fügte hinzu: „Er ist 94, also geht es ihm so gut wie jedem 94-Jährigen.“ Dass diese Gleichung allerdings auch 18 Jahre nach dem Ende der Apartheid so noch kaum aufgeht, konnte auch Mandelas Vorstoß, den freien Zugang zu ärztlicher Versorgung 1994 in die Verfassung schreiben zu lassen, bisher nicht verhindern. Ärztemangel und Missmanagement in den staatlichen Krankenhäusern führen gegenüber den bestens ausgerüsteten, aber teuren Privatkliniken zu einem eklatanten Zwei-Klassen-System im Gesundheitswesen. Abhilfe soll nun eine einheitliche Nationale Krankenversicherung (NHI) schaffen.

„Wenn Sie heute Nacht einen Herzinfarkt haben, gehen Sie ins (staatliche) Livingston Krankenhaus, aber die werden sagen, dass die Station voll ist und man sie erst morgen sehen kann – sind Sie aber privat versichert, gehen Sie ins Greenacres Krankenhaus und werden sofort behandelt“, verdeutlicht Dr. Basil Brown die bisherige Realität am Beispiel seiner Heimatstadt Port Elizabeth, einer Millionenmetropole mit modernsten Industriebetrieben. Der 65-Jährige ist der einzige staatliche Kardiologe im Ostkap, der mit knapp 7 Millionen Einwohnern drittgrößten der neun Provinzen Südafrikas. Der resigniert wirkende Spezialist beklagt Korruption und Missmanagement und zweifelt an der Fähigkeit der Gesundheitsbehörden, die maroden staatlichen Krankenhäuser auf Vordermann zu bringen. Dazu kommt der Personalmangel. 1200 junge Ärzte schließen in Südafrika jährlich ihr Medizinstudium ab, 6000 Absolventen würden pro Jahrgang gebraucht, schätzt Brown, doch für die ist an den Universitätskliniken derzeit gar kein Platz. „Die NHI ist ein großartiger Plan“, fasst er zusammen, „aber die Ausführung ist das Problem, ich sehe das hier in Port Elizabeth in zehn Jahren nicht kommen.“

Doch Gesundheitsminister Aaron Motsoaledi lässt keinen Zweifel daran, die lange in den Schubladen seiner Vorgänger ruhenden Pläne endlich umzusetzen. „Wir haben einen Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt“, konstatierte er während seiner Budget-Rede Ende April vor dem Parlament. In der Tat: Zehn der 62 Verwaltungsdistrikte werden bereits auf das neue Versicherungsmodells umgestellt, das auf eine solidarische Finanzierung setzt. Der Beitrag zur NHI soll für alle Südafrikaner verpflichtend werden – auch für diejenigen die sich weiterhin privat versichern wollen. Das stieß zwar bei Teilen der gut versorgten Mittel- und Oberschicht auf Kritik, doch die Reform scheint unumgänglich und geht zudem über den einheitlichen Versicherungsmodus hinaus. Der für seine Erfolge im Gesundheitsressort hoch angesehene Motsoaledi, einst selbst praktizierender Arzt, will im Zusammenspiel mit den privaten Arztpraxen ein Modell aufbauen, das einen starken Fokus auf Vorsorge legt und die Krankenhäuser entlastet. Volkskrankheiten wie Diabetes oder Herzleiden sollen zukünftig eher erkannt und bereits in den Polikliniken der Stadtteile versorgt werden.

„Damit ein Arzt jeden gleich behandelt“, müssten Ärzte und Schwestern aus dem privaten und öffentlichen Sektor zusammengebracht werden, sagt auch Wilmari Honey, Leiterin des staatlichen Krankenhauses in Humansdorp, einer Kleinstadt ebenfalls im Ostkap. Durch ein Kooperationsprojekt mit einem privaten Krankenhauskonzern landen dort schon jetzt Privatpatienten auf den gleichen Operationstischen wie diejenigen, die auf die kostenlose staatliche Versorgung angewiesen sind. Der Komplex ist bestens gepflegt, die Stationen trotz hoher Auslastung nicht überfüllt und laut Honey ist das Modell für den Staat sogar günstiger als die vorherige getrennte Versorgung. „Ich sehe keine andere Lösung für die Krise des Gesundheitswesens in unserem Land“, sagt die 52-Jährige daher. Behält sie Recht, wäre das auch eine späte Erfüllung von Mandelas Vision von der Gleichbehandlung aller Südafrikaner.

Erschienen am 18. Juli in den Stuttgarter Nachrichten.