Jahresrückblick 2010: Der Jubel ist verflogen
30. Dezember 2010 – 14:00Sowohl die Fußball-WM als auch die Arbeit der Regierung Zuma haben Südafrika desillusioniert/ Gewerkschaften kämpfen für Wandel
Im Soccer-City Stadion von Soweto lief die 55. Minute. Siphiwe Tshabala hatte gerade einen klugen Pass seines Mittelfeld-Kollegen Kagisho Dikgacoi aufgenommen und mit links in den rechten Torwinkel gehämmert, da war um kurz vor 17 Uhr Ortszeit die erste Fußballweltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent nicht nur eröffnet sondern auch endgültig angekommen. Ausgerechnet Tshabala, der inzwischen 26-jährige Spielmacher seines in der einstigen Mega-Township ansässigen Heimatvereins Kaizer Chiefs, hatte sein Land endgültig in einen kollektiven Jubelrausch versetzt. Für einen Moment war der harsche südafrikanische Winter in den Blechhütten längst nicht mehr so kalt und die krassen sozialen Unterschiede am Kap längst nicht mehr so präsent. Als die Mexikaner den späten Ausgleich schafften, war die gute Stimmung schon herb gedämpft. Ein halbes Jahr nach der WM ist die Euphorie verflogen, sind die geschaffenen Arbeitsplätze abgebaut, ist noch für keines der WM-Stadien eine nachhaltige Nutzungsstrategie vorhanden und die Südafrikaner fragen sich, was das Welt-Turnier ihnen gebracht hat. Die sozialen Unterschiede jedenfalls, die in jenem afrikanischen Glücksmoment wie weggefegt schienen, bestehen wie eh und je. Und es scheint nicht so, als hätte Präsident Jacob Zuma vom regierenden Afrikanischen National Kongress (ANC) die passenden Antworten auf die Fragen seiner Landsleute parat.
2009 als Kandidat der Gewerkschaften, der ANC-Jugendliga und der Kommunistischen Partei Südafrikas – kurzum derer, die sich in Südafrika als links begreifen – ins höchste Amt des Staates gewählt, war Zuma der konservativen Opposition und vor allem den Weißen im Land ein Graus, korruptionsumwittertes Übel und skandalumwitterter Grund zum Auswandern. Die meisten sind dann freilich doch geblieben und mussten ihre Horrorszenarien alsbald revidieren. Zuma hat es ihnen recht gemacht, sich als diplomatischen und versöhnlichen Präsidenten des gesamten südafrikanischen Volkes inszeniert. Für seine linken Verbündeten erhöhte er derweil die staatlichen Infrastrukturinvestitionen und schaffte so im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft Arbeitsplätze. Doch die Maßnahme war ob der anstehenden WM sowieso unausweichlich und an vielen anderen entscheidenden Stellen warten die Südafrikaner noch immer auf Entscheidungen.
Die Notenbank ist auch unter Zuma bei ihrem konservativen Kurs geblieben und holt sich ihren Applaus lieber in der Internationalen Währungsgemeinschaft als bei den heimischen Gewerkschaften. Der südafrikanische Rand ist inzwischen – zum Ärgernis des Gewerkschaftsbundes COSATU – anderthalb mal so stark wie noch vor zwei Jahren, im seit Apartheid-Zeiten hochgradig ungleichen Schulwesen begnügte sich die Reformierung mit ein paar Namensänderungen, während die Bildungsqualität gerade in den staatlichen Schulen der armen Stadtteile und auf dem Land auf niedrigsten Niveau verharrt und die längst überfällige Reformierung des Zweiklassen-Gesundheitswesens ist noch immer in der Diskussionsphase. Die aktuellsten Pläne sehen ein Private-Public-Partnership-Modell nach britischem Vorbild vor. Der private Krankenhaus-Riese Netcare jedenfalls baut – sicherlich auch als Testlauf für sein Stammland Südafrika – gerade ein staatliches Krankenhaus in Lesotho.
Für die mit großen Versprechungen und nicht selten eindeutig revolutionärer Rhetorik gestartete Regierung Zuma wird die Luft derweil immer dünner – und auch die eigene Allianz aus ANC, SACP und COSATU bröckelt immer stärker.
Die ANC-Jugendliga um ihren mit windigen Geschäften reich gewordenen Vorsitzenden Julius Malema liefert sich mit der SACP eine Endlos-Fehde um die Verstaatlichung des Bergbaus. Südafrika ist reich an Bodenschätzen, viele Minen sind aber längst nicht mehr profitabel und die Kommunisten wittern hinter Malemas Strategie neben purem Populismus auch ziemlich unverblümt den Plan, seine neureichen Freunde auf Kosten des Steuerzahlers fürstlich auszubezahlen. Erst kürzlich war die Goldmine Aurora, im Besitz eines Enkels von Nelson Mandela und eines Neffens von Jacob Zuma, in die Schlagzeilen geraten, weil Sicherheitsleute mehrere illegale Goldschürfer in dem Labyrinth unter Tage erschossen hatten. Die Mine ist seit längerer Zeit geschlossen, die Arbeiter warten noch auf Lohn für mehrere Monate. Es ist ein offenes Geheimnis, dass auch von ihnen etliche inzwischen auf eigene Faust und Gefahr in die Schächte herabsteigen.
Während die ANC-Führung selbst Verstaatlichungen generell ablehnt und die Forderungen der eigenen Jugendliga als bloße Einladung zur Diskussion über das Thema herunterspielt, gibt sich COSATU immer häufiger kämpferisch – gegen beide Lager. „Wenn wir die Demagogen diese Debatte gewinnen lassen, die einzig und verengt auf die Minen fokussiert, anstatt den Staat und Verstaatlichungen ganzheitlich zu betrachten, dann können wir nur die Kritiker auf den Plan rufen, die sagen, dass diese Leute nur daran interessiert sind, ihren Einfluss auf die Ressourcen zu sichern, um selbst daran zu verdienen“, kritisierte COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi mit einem deutlichen Wink in Richtung Malema und ANC-Jugendliga. Auch mit dem ANC liegt COSATU seit einem knappen Jahr im Dauer-Clinch. Es geht um die – größtenteils erfolgreichen – Streiks der knapp zwei Millionen Gewerkschafter, die das Land in verschiedenen Brachen immer wieder lahm legen und der Regierung Zuma gerade in der Investoren-Werbephase rund um die WM ein Dorn im Auge sind. Es geht außerdem um politische Einflussnahme. Man wolle seine Mitglieder nicht länger als Stimmvieh des ANC missbrauchen lassen, sondern endlich aktiv am Regierungsprogramm mitbestimmen, hatte Vavi gefordert. Doch der ANC sträubt sich. Denn es geht auch um Macht und um Posten. Von „politischen Hyänen“ innerhalb der Regierungspartei hatte der Chef-Gewerkschafter daher in seiner gehäuften scharfen Kritik der Vetternwirtschaft und Korruption in der einstiegen Befreiungsbewegung gesprochen. Die geforderte Entschuldigung gab er zum Entsetzen des Allianz-Partners nicht und legte nach, indem er von Raubtieren berichtete, die den einst gemeinsam so schwer erkämpften sozialen Wandel gefährden, um sich selbst zu bereichern.
Den offenen Bruch mit der Regierungspartei traut sich der Gewerkschaftsbund dann letztendlich aber doch nicht zu. Für die im kommenden Jahr anstehenden Kommunalwahlen werde man die ANC-Kandidaten erneut unterstützen, nur nicht die, „inkompetent, faul oder korrupt“ seien, wie es COSATU-Präsident Sdumo Dlamini ausdrückte. Namen und Hausnummern blieb er aber genauso schuldig wie einen Plan, den Bündnispartner von der Aufstellung solch anstößiger Politiker abzubringen. Die SACP bleibt derweil zu all diesen Themen seltsam stumm. In völliger Abhängigkeit des ANC, auf dessen Listen die kommunistischen Abgeordneten bei Wahlen kandidieren, taktieren die Strategen fast hilflos um linken Einfluss in der Regierung und verpassen es so, die berechtigte Kritik der Gewerkschafter ideologisch zu unterstützen. Aufgefallen sind die Kommunisten in jüngerer Vergangenheit nur einmal – als es beim 3. Nationalkongress der eigenen Jugendliga (YCL) vor Wochenfrist in Mafikeng zwischen zwei Fraktionen zu handfesten Auseinandersetzungen um die Wahl des Vorsitzenden kam. Der einstige Grundsatz der Allianz, dass die Bewegung wichtiger ist, als die Personen in ihr, rückt mit diesem Eigentor im WM-Jahr genauso wie die Lösung der wirklichen Probleme Südafrikas in immer weitere Ferne.
Erschienen am 30.12.2010 in junge Welt.