Kein Frieden in Sicht
10. September 2012 – 11:43Im Konflikt an der südafrikanischen Marikana-Mine schließen Konzern und Bergbaugewerkschaft einen Friedensvertrag ab – die streikenden Kumpel unterzeichnen aber nicht.
Zumindest die Börse hat der Friedensvertrag von Marikana am Donnerstag überzeugt. Um sechs Prozent stiegen die Aktien des Minen-Betreibers Lonmin, dem drittgrößten Platinproduzenten der Welt, noch am gleichen Tag. Nach mehr als einwöchigen Verhandlungen einigten sich die NUM, Südafrikas größte Bergarbeitergewerkschaft und die kleinere Solidarity, zu Apartheid-Zeiten Gewerkschaft der Weißen, mit dem Bergwerk-Betreiber auf eine Wiederaufnahme der Arbeit und völligen Gewaltverzicht. „Dies ist der erste Schritt in die richtige Richtung“, sagte Lonmin-Sprecherin Sue Vey und fügte offenbarend an: „Wir hoffen, dass die Arbeiter auch bald unterzeichnen.“
Denn genau hier liegt die Crux des falschen Friedens von Marikana: Die militante, jüngere Bergarbeitergewerkschaft AMCU und die Vertreter der nicht gewerkschaftlich organisierten Kumpel weigerten sich das Abkommen zu unterschreiben. Die NUM nämlich hat den Kontakt zu den seit vier Wochen streikenden Arbeitern, von denen vor drei Wochen 34 bei der brutalsten Polizeiaktion seit Ende der Apartheid erschossen worden waren, längst verloren. Die Bergarbeiter werfen der Gewerkschaftsführung vor, gemeinsame Sache mit der Konzernleitung zu machen – und das bedingungslose Friedensabkommen ohne jegliche Zusagen an die Angestellten dürfte diese Sichtweise nur weiter stärken.
Am Donnerstag erschienen lediglich 1,6 Prozent der Bergarbeiter zur Arbeit. Zwar erkannte NUM-Sprecher Lesiba Seshoka in dem „Friedensabkommen“ das Signal zum „Ende der Drohungen und Einschüchterungen“, doch die Arbeiter, die eine Erhöhung ihres Basisgehalts von umgerechnet 540 auf 1250 Euro fordern, scheinen weiter kampfbereit. Erst am Mittwoch forderten fünf ihrer Repräsentanten ein Gespräch mit Lonmin-Vertretern. Als der Bergwerksmanager schließlich mit zwei Bodyguards am Zaun erschien und nur durch das verschlossene Tor mit den wütenden, verzweifelten Arbeitern sprach, drohten die den Managern mit dem Tod und dem Niederbrennen des Bergwerks, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Der vermittelnde Bischoff Paul Verryn bezeichnete die „Gespräche“ durch Draht anschließend als „obszön“. Sein Fazit, auch in Hinblick auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bergleute ist eindeutig: „Solange sich die Situation nicht ändert, wird es keinen Frieden geben.“
Denn um wirklichen Frieden wurde auch in den zu „Friedensverhandlungen“ aufgebauschten Gesprächen gar nicht geredet. Das Management des Bergbaukonzerns hatte von vornherein klargestellt, über Löhne erst dann zu verhandeln, wenn Normalität einkehrt. Doch Normalität gibt es rund um die Minen im südafrikanischen Platin-Gürtel, knapp hundert Kilometer nordwestlich von Johannesburg schon lange nicht mehr – und Frieden auch nicht, zumindest keinen sozialen. Die Böden hier sind verseucht von den Abwässern der Minen, die Luft verpestet vom aufgewirbelten Staub der Halden, die Menschen oft krank und verarmt. In Wellblechhütten leben sie, häufig ohne legalen Stromanschluss und fließendes Wasser. Es hapert bei der Gesundheitsversorgung und bei der Schulbildung für die Kinder – alles Probleme, die die Minenbetreiber eigentlich mit großangelegten Programmen lindern wollten. So versprechen es die Hochglanzbroschüren, so beteten es die Pressesprecher noch runter, als die Welt längst auf die Realität rund um die Minen schaute.
Dass die sich in Wirklichkeit seit dem Ende der Apartheid vor 18 Jahren kaum verändert hat, belegen unabhängige Studien, die jüngste ist erschien erst vor drei Wochen und ist ebenfalls nicht Werk der tatenlosen NUM sondern einer kirchennahen Nichtregierungsorganisation. Die Position der Bergarbeiter ist daher klar: Vor dem Ende des Streiks muss die Lohnerhöhung stehen. „Ein Friedensvertrag wird uns Arbeitern überhaupt nicht helfen”, stellte Zolisa Bodlwana, einer der Repräsentanten der nicht-organisierten Arbeit, klar.
Erschienen am 10. September in junge Welt.