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Schädel, Schuld und Schweigegeld

16. September 2011 – 15:48

Nach dem Interview lädt Vetaruhe Kandorozu, Bürgermeister von Okakarara, zum Mittagessen ein. Doch der Appetit ist längst vergangen. Zu grausam waren die Schilderungen der vergangen 50 Minuten.

Okakarara ist eine staubige 6000-Seelen-Gemeinde 300 Kilometer nördlich von Windhuk. Das Städtchen ist umgeben von riesigen Farmen, dahinter beginnt die Kalahari, eintönig, flach, endlos. An den Rändern der Hauptstraße von Okakarara verstecken sich improvisierte Imbissstände unter behelfsmäßig aufgespannten Planen vor der unerbittlichen Sonne. Ein paar Ziegen laufen über die Straße. Im Zentrum wartet die einzige Tankstelle weit und breit auf Kundschaft, doch die meisten Einheimischen fahren Eselkarren. Die Gegend wirkt friedlich.

Vor etwas mehr als hundert Jahren jedoch, als Namibia noch Deutsch-Südwestafrika hieß, fand hier ein Völkermord statt. Nachdem die Kolonialbehörden den in der Gegend lebenden Herero das Land genommen, ihnen mit dubiosen Methoden das Vieh abgekauft und schließlich ihre Freiheit beschnitten hatten, erklärte deren oberster Häuptling Samuel Maharero den Eindringlingen 1904 den Krieg. Am Waterberg, der sich unweit von Okakarara wie ein überdimensionaler Tisch aus der Ebene erhebt, verloren die Herero noch im selben Jahr die entscheidende Schlacht gegen das waffentechnisch haushoch überlegene Heer des Kaiserreiches. Kommandeur Lothar von Trotha ließ die Herero in die Wüste treiben, von den Wasserstellen verjagen oder in Lager bringen. 80.000 Herero – rund 80 Prozent des gesamten Volkes – fanden den Tod.

“In den Konzentrationslagern wurden hauptsächlich Männer getötet. Ihre Köpfe wurden abgeschlagen und dann den Frauen gegeben, die sie mit kochendem Wasser und Glasscherben von Fleisch und Haaren zu säubern hatten”, berichtet Kandorozu. 10.000 Schädel sollen die Deutschen so geraubt haben. Einige Soldaten nahmen gar Totenköpfe als Souvenir mit. Noch heute werden in deutschen Privathaushalten Herero-Schädel vermutet.

Der Großteil landete jedoch in Museen und Universitäten, wo vorgeblich das Wesen der Eingeborenen erforscht werden sollte. Dort lagern die Schädel bis heute. Eigentlich sollten sie längst in die Heimat zurückgebracht werden. Doch weil es Probleme bei der genauen Zuordnung gibt, wird die Rückführung seit Jahren immer wieder verschoben. “Die wollen das Thema Völkermord nicht in die internationale Gemeinschaft bringen”, sagt Kandorozu mit Blick auf die Bundesregierung. “Und damit es nach einer geringen Zahl von Opfern aussieht, wollen sie auch nicht alle Schädel herausgeben.”

Ganze 20 Schädel aus der Berliner Charité – neun von Angehörigen der Herero und elf, die dem seinerzeit ebenfalls verfolgten Volk der Nama zugerechnet werden – sollen nun nach Namibia zurückkehren. Geplant war die Zeremonie eigentlich schon im Mai. Doch dann mischte sich die namibische Regierung ein, stellte die Zusammensetzung der Delegation in Frage und ließ die Sache schließlich platzen. Ein neuer Termin wird erwartet.

Das Problem der Herero ist, dass sie keine rechtliche Grundlage haben, selbst mit der Bundesregierung zu verhandeln. Die eigene Regierung wiederum tut wenig, den Prozess zu beschleunigen. Denn die Regierungspartei Swapo ist dominiert von den Ovambo, die seit dem Völkermord an den Herero die größte ethnische Gruppe im Land bilden. Und sie sind an einer einseitigen Entschädigung für die Herero nicht interessiert.

Denn es geht auch um Geld. Die Nachkommen der Ãœberlebenden des Völkermordes verlangen von der Bundesrepublik nicht nur die Gebeine ihrer Vorfahren und eine offizielle Entschuldigung Deutschlands für den Genozid. “Eine Entschuldigung kann nicht allein kommen, eine Entschuldigung kann nur mit Reparationszahlungen kommen”, sagt Kandorozu. “Schließlich wurde uns unser Land und unser Vieh genommen.”

Dazu ist die Bundesregierung jedoch nicht bereit, wie aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht. Sie verschanzt sich hinter dem Argument, Deutschland sei der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes erst 1954 beigetreten, und eine rückwirkende Anwendung der Konvention sei nicht möglich. Zudem verweist sie auf die umfangreiche deutsche Entwicklungsförderung in Namibia. In der Tat: Das dünn besiedelte Land im Südwesten Afrikas ist pro Kopf der Bevölkerung der größte Empfänger deutscher Entwicklungshilfe.

Genau darin vermuten nun die Herero den Grund für die mangelnde Unterstützung durch ihre eigenen Volksvertreter. “Vielleicht hat die Regierung Angst, Deutschland könnte Entwicklungshilfegelder zurückhalten, um die Reparationszahlungen zu bedienen”, empört sich Utjiua Muinjangue, Vorsitzende des Ovaherero Genocide Committee (OGC). “Bestechungszahlungen” nennt sie es: “Die Deutschen geben der Regierung Namibias Geld, damit sie ruhig bleibt.”

Noch wütender wird sie, als sie auf einen Bericht zu sprechen kommt, der in der in Windhuk erscheinenden Zeitung Namibian Sun erschien. Das Boulevardblatt zitierte einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes mit der Aussage, die Ãœbernahme der Kosten für die Repatriierung der Schädel sei daran geknüpft, dass die Zeremonie nicht im “Kontext von Gräueltaten” stehe. “Ich würde lieber hungern, als darüber zu schweigen, was unseren Vorfahren angetan worden ist”, sagt auch Okakararas Bürgermeister Kandorozu, und der Herero-Historiker Festus Muundjua spricht von “Erpressung”. Die Bundesregierung beschränkt sich darauf, die zitierten Aussagen als “unzutreffend” zu dementieren.

Die letzte Ruhe für die Toten wird es ohnehin nur bedingt geben. Nach Plänen der Herero-Organisationen sollen die Schädel nach ihrer Rückkehr nämlich in Museen ausgestellt werden. Nach einem Jahrhundert, in dem der Völkermord immer wieder geleugnet wurde, klingt Kandorozus Begründung plausibel: “Wir wollen die Schädel nicht beisetzen, denn wir wollen die Geschichte nicht begraben.”

Erschienen am 16. September 2011 in der Berliner Zeitung.