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Streiks an südafrikanischen Minen weiten sich aus

8. Oktober 2012 – 19:38

Erneut Tote bei Arbeitskämpfen/ Platin-Konzern reagiert mit Massenentlassungen

Südafrikas Bergbau-Industrie kommt nicht zur Ruhe. Auch knapp zwei Monate nach Beginn des später von der Polizei niedergeschossenen Streiks an der Lonmin-Platinmine Marikana, der insgesamt 46 Menschen das Leben kostete, protestieren in den Bergbau-Zentren des Landes immer mehr Menschen für bessere Arbeitsbedingungen, menschenwürdige Unterkünfte und höhere Löhne. Insgesamt 100000 Kumpel befanden sich in der vergangenen Woche im Streik und die Bandagen des Arbeitskampfes um das „bessere Leben“, das der regierende ANC nach Ende der Apartheid 1994 auf Wahlplakaten versprach, sind unvermindert hart. Mindestens sieben Menschen starben allein in der vergangenen Woche bei Streiks, der letzte in der Nacht von Donnerstag zu Freitag erneut bei einem Polizeieinsatz. Die Umstände sind dabei noch so unklar, wie die Lösungsmöglichkeiten in dem festgefahrenen Konflikt.

„Das ist der Beginn des Kriegs“, zitierte die Wochenzeitung Mail & Guardian in ihrer Onlineausgabe am Sonnabend Gaddhafi Mdoda, einen der Streikführer der beim weltgrößten Platin-Produzenten Anglo American Platinum angestellten Kumpel. Solch markige Worte sind derzeit keine Seltenheit in Südafrika und angesichts der fristlosen Massenentlassung von 12000 streikenden Angestellten erscheinen sie weder übertrieben noch irrational. „Wir werden nicht klein beigeben“, demonstriert der Mann Entschlossenheit. Ihren festen Willen, sich nicht noch einmal klein machen zu lassen, haben die Bergarbeiter an den verschiedensten Minen des Landes in den vergangenen Wochen auch deutlich nachgewiesen. In Diamanten-, Eisen-, Gold-, Chrom- und den erwähnten Platin-Minen wird inzwischen gestreikt. Was die Ausstände im an Streiks gewöhnten Südafrika so besonders macht, ist ihr wildes Element. Die Arbeiter haben sich losgesagt von den geplanten und abgesprochenen Showkämpfen des mit der Regierungspartei ANC in einer Allianz verbundenen Gewerkschaftsbundes COSATU, sie agieren „illegal“ und schaffen so die Emanzipation von den Mächtigen, die die Gewerkschaftsführung aus Angst vor eigenem Machtverlust seit knapp zwanzig Jahren verschlafen hat.

Wie sehr diese Revolte das südafrikanische Establishment trifft, zeigen die Reaktionen der einst revolutionären Dreier-Regierungsallianz. Die Kommunistische Partei Südafrikas (SACP) schweigt zu den Arbeitskämpfen seit Wochen komplett und COSATU und seine für den Bergbau zuständige Gewerkschaft NUM veröffentlichen lediglich ein gemeinsames Statement mit dem Branchenverband der Bergbauindustrie, das an bestehende Lohnabkommen erinnert und über die schwierige Situation auf dem Goldmarkt und den Erhalt von Arbeitsplätzen fabuliert. Der politisch längst allmächtige ANC setzt dem ganzen durch seinen Präsidenten, Staatsoberhaupt Jacob Zuma, noch die Krone auf und gibt seine einzige offizielle Äußerung auf einer Managertagung der Bergbau-Branche wie folgt ab: „Wir sollten nicht anstreben, uns als Nation zu portraitieren, die dauernd am kämpfen ist.“

Es ist nicht zuletzt diese zynische Arroganz, die die in Wellblechhütten oft ohne fließendes Wasser lebenden Kumpel bekämpfen. „Die Streik-Komitees wollen eine Gewerkschaft, die unabhängig ist, die von Arbeitern kontrolliert wird und nicht von COSATU oder dem ANC“, spricht Nkosinathi Mpopo, einer der streikenden Kumpel beim Chrom-Giganten Samancor, den offensichtlichen Bruch zwischen der südafrikanischen Arbeiterklasse und ihrer einstigen Befreiungsbewegung offen aus. Und langsam, aber sicher scheinen die bisher orientierungslos wirkenden Streiks diese politische Richtung auch zu finden. Für die jüngsten Massenausstände übernahm das bisher kaum bekannte, aber rund um die Minen schon länger aktive Democratic Socialist Movement, eine kleine trotzkistische Bewegung, die Verantwortung. Die Proteste seien Teil eines nach dem Massaker von Marikana ausgerufenen Generalstreiks, teilte ein Sprecher mit.

Wie stark politisiert die Streiks tatsächlich sind, bleibt dennoch weiter unklar. Aber auch wenn in einigen Minen die Produktion nach raschen Gehaltssteigerungen bereits wieder angelaufen ist, spricht die immense Ausweitung des Arbeitskampfes in der vergangenen Woche zumindest für einen Schneeballeffekt. Sowohl für die Minenbosse als auch die politische Elite Südafrikas könnte der sich bei weiteren Entlassungen leicht zur Lawine entwickeln.

Erschienen am 8. Oktober 2012 in junge Welt.