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Südafrikas verratene Generation

27. August 2012 – 13:21

Weil Bücher unbenutzt im Altpapier landen und die Bildungsministerin sich vor Gericht gegen Mindeststandards wehrt, lebt die Apartheid an den Schulen der Kap-Republik weiter

Es war nur eine Kurznachricht, doch sie offenbarte den Zustand des südafrikanischen Bildungssystems allzu bildhaft: Weil er „mit einem leeren Wagen zum Lager zurückkehren musste“, habe ein Mitarbeiter der Bildungsbehörde tausende Schulbücher auf einer Müllhalde abgeladen, berichtete der Direktor des Bildungsministeriums vor dem Kapstädter Parlament. Den Dienstwagen hätte der Mann stattdessen für „Vergnügungsfahrten“ genutzt. Zwei Wochen ist das her, doch für Bildungsministerin Angie Motshekga kommt der Vorfall mehr als unpassend.

Seit dem Beginn des Schuljahres im Januar warten zahlreiche Schulen im Land noch immer auf die Auslieferung ihrer Schulbücher und mit jeder Woche wächst der Druck auf Motshekga. Zudem muss sich die Politikerin des seit Ende der Apartheid regierenden African National Congress (ANC) nun auch noch vor Gericht erklären. Das Equal Education Law Centre, eine Nichtregierungsorganisation, die für gerechte Bildungschancen kämpft, will die Ministerin zur Aufstellung von Mindeststandards an Schulen zwingen. Doch die wehrt sich und verweist auf Budget-Restriktionen. Dabei hat Südafrika mit 5,4 Prozent des Bruttosozialprodukts ein im internationalen Vergleich relativ hohes Bildungsbudget, einzig in den Schulen kommt davon zu wenig an. Ein häufiges Problem sind teure, politisch gut vernetzte Dienstleister, die lukrative Verträge mit der Bildungsbehörde abschließen, aber die Leistungen nur mangelhaft erbringen – die Schulbücher sind da nur ein Beispiel. Hinzu kommt das schwere Erbe der systematischen Benachteiligung aus der Zeit der Rassentrennung.

Unter dem System der „Bantu-Education“ hatte die weiße Regierung Schwarzen bis 1994 systematisch den Zugang zu guter Bildung verwehrt. Sie sollten nicht mehr lernen, als für billige Arbeitskräfte nötig war. Der heutigen Elterngeneration fehlt daher selbst das Wissen, um ihren Kindern zu helfen. „Vom ersten Schultag an haben wir bereits einen riesigen Unterschied zwischen den Kindern, einfach nur wegen ihrer Herkunft“, sagt Dmitri Holtzman, Vorsitzender des Equal Education Law Centre. „Die Schulen sollten eigentlich Abhilfe schaffen, doch sie führen das Problem weiter.“ Es mangelt an fähigen Managern, gut ausgebildeten Lehrern und noch immer an gerechter Ressourcenverteilung. „Ein System, das es einigen Schulen erlaubt, Schulgebühren zu verlangen und anderen, genau das nicht zu tun, schafft Barrieren“, sagt Holtzman.

In fünf Kategorien hat Südafrika sein Schulsystem eingeteilt. Die Sekundärschulen am oberen Ende der Qualitätsskala, die einst Weißen vorbehalten waren, verlangen pro Monat rund 150 Euro Schulgebühren. Sie ziehen die besser ausgebildeten Lehrer an, weil sie zusätzlich zu den staatlich bewilligten Stellen weiteres Personal einstellen können und dadurch kleinere Klassenstärken haben. Dazu kommen die besseren Lehrmittel und die Möglichkeit Gehälter aufzustocken. Die Township-Schulen der Ärmsten nehmen dagegen oft gar kein Schulgeld und liefern ohne die nötigen Mittel aus der Staatskasse in der Regel ein trauriges Bild: Die Klassenzimmer sind überfüllt, die Lehrer ausgebrannt, die Quote derer, die den Abschluss schaffen deutlich schlechter als an den teuren Schulen. „Der Effekt ist“, sagt Holtzman drastisch,  „dass die Schüler fortführend verraten werden.“

Auswirkungen hat das Dilemma auch auf Staatspräsident Jacob Zuma. Der will sich auf dem Wahlparteitag des ANC im Dezember für weitere fünf Jahre an der Spitze der Partei bestätigen lassen – was bei den klaren Mehrheiten für die einstige Befreiungsbewegung in Südafrika gleichbedeutend mit einer zweiten Amtszeit an der Regierungsspitze ist. Doch Zuma verliert immer mehr Rückhalt an der vornehmlich schwarzen Wähler-Basis. Im ganzen Land nahmen in den vergangenen Monaten heftige, soziale Proteste zu. Ein Großteil der Demonstranten sind Jugendliche und junge Arbeitslose, oft geht es neben Jobs und Perspektiven auch um Bildungschancen. Alles Dinge, die Zuma und der ANC einst versprachen, die ihnen aber immer weniger Jugendliche glauben: Bei einer Meinungsumfrage zumindest sprachen sich im Juni nur noch 19 Prozent der Südafrikaner zwischen 18 und 30 Jahren für Zuma als Präsident aus.

Erschienen am 27. August 2012 im Weser-Kurier.