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Ein Einbaum für den Lebensunterhalt

26. August 2010 – 13:28

Im Okavango-Delta hat eine dörfliche Kooperative den Tourismus selbst in die Hand genommen

Ein Einbaum-Boot durch das weite Schilflabyrinth des Okavango-Deltas zu steuern ist für die meisten Männer vom Volk der Bayei keine große Kunst. Dabei ist es in den vergangenen Jahren nicht gerade einfacher geworden, denn die meisten Mokoros, wie die schlanken Stak-Boote genannt werden, sind inzwischen aus Plastik und damit viel wackeliger als die schweren, tiefliegenden Holzboote. Der Wandel hat zwei Gründe: Zum einen soll der von den großen Elefanten-Herden ohnehin schon dezimierte Baumbestand geschont werden und zum anderen benötigt der Steuermann mit dem leichteren Plastik-Mokoro weniger Kraft. Das ist besonders praktisch, wenn der Kahn mit zwei Touristen und deren Camping-Ausrüstung voll beladen ist. Im Dorf Seronga, im Nordwesten Botsuanas, ist das häufig der Fall. Hier hat eine Gruppe von 30 Männern vor zwölf Jahren eine Tourismus-Kooperative gegründet. Heute zählt der Okavango Polers Trust 75 Boots-Führer und hat eine eigene Gästelodge. Alle Einnahmen bleiben in der Gemeinschaft und die Besucher bekommen fernab jeder Sterne-Lodge noch einen kleinen Einblick ins dörfliche Leben.

Mit zwölf Jahren hat Lethabile Tuelo erstmals selbst ein Mokoro gesteuert. Kurz nachdem sich die Kooperative gegründet hat, hat auch er sich beworben. Die anderen Boots-Männer wählten ihn in ihren Kreis. Das war 1998. Tuelo hat danach zuhause Bücher gewälzt in Gruppentreffen gelernt und so für die Prüfung zum Touristenführer studiert. 2002 hat er sich schließlich auf die weite Reise ins acht Autostunden entfernte Maun gemacht, um das zweitägige Examen abzulegen. „Ich wollte meinen Lebensunterhalt mit dem Tourismus bestreiten“, sagt Tuelo. Sein Ziel hat er erreicht. 475 Pula (umgerechnet 54 Euro) bekommt ein Bootsführer für eine Übernacht-Tour – kein Vermögen, aber in einer Quasi-Subsistenzwirtschaft, wie sie in den Dörfern des Delta besteht, ein ausreichender Lohn, um eine Familie zu ernähren. Drei Kinder hat der 34-Jährige. Von seinem Geld hat Tuelo außerdem den elterlichen Hof ausgebaut, ein paar Ziegen angeschafft und sich ein eigenes Mokoro gekauft. Er lebe gut, sagt er.

Das Leben in Seronga ist einfach und ruhig. Die Menschen leben von Fischfang, Viehzucht und Ackerbau. Dazu kommt das, was die Natur bereit stellt: Beeren, Wurzeln von Wasserlilien oder Termiten zum Beispiel. Elektrizität gibt es im Dorf fast gar nicht, sein Handy lädt Tuelo an einer Autobatterie auf. Die botsuanische Regierung hat sich vorgenommen, bis 2016 jedes Dorf ans Stromnetz anzuschließen. Die Masten dafür stehen in Seronga auch schon seit einem Jahr, die Kabel werden derzeit angebracht – doch das dauert, weil die Entfernungen riesig sind. Botsuana ist mehr als anderthalbmal so groß wie Deutschland, hat aber nur gut zwei Millionen Einwohner.

Die traditionelle Dorfgemeinschaft – das sieht man nicht nur an den Plastik-Booten – wandelt sich, aber sie tut es so langsam und fließend wie sich der Okavango durch das größte Binnendelta der Erde in der Trockenheit Botsuanas verliert. Tuelo freut sich über die Touristen, die hierher kommen, tauscht sich auch gerne mit ihnen aus. Aber weg aus Seronga? Das wollte er nicht. Der Familienmensch kennt hier fast jede Pflanze und jede Tierart – auf Englisch und Setswana, der meistgesprochenen Sprache Botsuanas. Er manövriert sein Boot spielend an den Flusspferden vorbei, die besonders nachts im Konzert mit Elefanten, Fröschen und Zikaden für eine beeindruckende Lautstärke am Okavango sorgen. Er liest die Fährten von Giraffen und Antilopen, um sie bei einer Querfeldein-Wanderung durch die Wildnis aufzustöbern und erklärt den Besuchern die Besonderheiten seiner Heimat. Dass es nicht ungewöhnlich ist, dass da am Ufer gerade Kühe neben Elefanten grasen beispielsweise, oder das Zebras häufig gemeinsam mit Gnus grasen, weil sie selbst zwar gut riechen aber schlecht sehen können und es bei den Gnus genau umgekehrt ist.

Das Delta bei Seronga ist kein Nationalpark, aber dennoch wirkt es natürlicher als manches eingezäuntes Reservat. Wer hier Urlaub macht, der kann versuchen, sich seine Ration Fisch selbst im Fluss zu fangen, jedoch immer nur solange, bis ein Flusspferd das Revier wieder für sich beansprucht. Wie lange die Reise dauert, kann der Gast selbst entscheiden, selbst eine zweiwöchige Tour durch das gesamte Delta ist möglich. Gecampt wird auf Inseln, die auch Löwen, Leoparden und Elefanten als Zuhause dienen. Zäune gibt es nicht, einzig ein Lagerfeuer hält die Tiere nachts fern. Wem das zu wild ist, der kann allerdings auch in einer der einfachen, aber komfortablen Holz- und Rundhütten im Hauptquartier der Kooperative übernachten und zu Tagestouren aufbrechen. Doch dabei verpasst man vieles und eine gefährliche Situation, sagt Tuelo, hätte er sowieso noch nie erlebt.

Wer nicht in Seronga aufgewachsen ist, für den kann es aber schon einmal aufregend werden. Edina Gurajena hat so eine Situation erlebt. Die 35-jährige Simbabwerin arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Skillshare International in Seronga und hilft der Einbaum-Fahrer-Kooperative bei der Buchhaltung, Buchung und Vermarktung. Eines Abends lief ihr ein Nashorn vor den Jeep und blieb zehn Minuten lang einfach im Weg stehen. „Es sah ziemlich verwirrt aus“, erzählt sie, „normalerweise sind die Nashörner es gewohnt, allein im Busch zu sein, ohne Autos.“ Aber auch die Hornträger müssen merken, dass der Tourismus Seronga langsam verändert.

Erschienen am 26.8.2010 auf ZEIT online.