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Ein Paradies im behutsamen Wandel

22. Mai 2010 – 13:11

Das Transkei-Dorf Nqileni an der sĂŒdafrikanischen Wildcoast lockt mit atemberaubender Landschaft sowie freundlichen Menschen – und versucht mithilfe des Tourismus der Armut zu entkommen

Der Blick hinunter ins Tal des Bulungula-Flusses ist wie eine Erlösung. Nach zweieinhalb Stunden auf holprigen Staubstraßen ist die gleichnamige Lodge hier erstmals in Sichtweite – und nur noch eine einstĂŒndige Wanderung entfernt. „Das Paradies ist per Definition schwer zu erreichen“, lĂ€sst die Website der Herberge direkt am Indischen Ozean mit einem Augenzwinkern wissen. In der Tat: Bulungula ist vermutlich das am weitesten von moderner Infrastruktur abgelegene Feriendomizil SĂŒdafrikas. Doch lĂ€ngst nicht nur das macht es so besonders.

„Ihre TĂŒren brauchen Sie nicht abzuschließen, denn es gibt hier keine KriminalitĂ€t“, erzĂ€hlt die Lodge-Leiterin Liesl Benjamin den GĂ€sten auf der BegrĂŒĂŸungstour. In SĂŒdafrika klingt das zunĂ€chst wie ein schlechter Witz, doch hier in Nqileni ist es wahr. Schon das GepĂ€ck lassen die Urlauber am Parkplatz in einer offenen RundhĂŒtte zurĂŒck, der Jeep der Lodge bringt es am spĂ€ten Nachmittag nach. Wer nicht wandern mag, kann auch mitfahren. Eine PKW-Straße zur Lodge gibt es nicht.

Die Herberge hĂ€lt noch weitere Überraschungen parat. Der Strom wird mit einer Solaranlage erzeugt und warmes Wasser strömt nur aus den so genannten Raketenduschen – der aufgefangene Regen wird in dieser abenteuerlichen Konstruktion durch eine Stahlröhre geleitet, an deren unterem Ende ein Paraffinfeuer fĂŒr die nötige ErwĂ€rmung sorgt. Die UnterkĂŒnfte bestehen aus stabilen Safari-Zelten und zehn traditionellen RundhĂŒtten mit Rieddach, wie sie auch in den Dörfern ringsum ĂŒberall zu finden sind. Das Mobiliar beschrĂ€nkt sich auf ein bequemes Doppelbett und einen an zwei Seilen aufgehĂ€ngten Stock, der als Handtuchhalter dient. Luxus gibt es hier tief im Eastern Cape nicht – dafĂŒr aber ein weitgehend unverfĂ€lschtes Kennenlernen der Xhosa-Gemeinschaft.

„NatĂŒrlich hat die Bulungula Lodge einen großen kulturellen Einfluss auf die Dorfgemeinschaft“, stellt Benjamin mit Blick auf die GĂ€ste aus aller Welt klar. „Man kann keine große Glaskuppel haben, zu der die Leute dann hingehen und schauen, wie die Einheimischen leben.“ Im Gegenteil: Das Zusammentreffen von Touristen und Einheimischen ist gewollter Bestandteil des Konzepts der Fair Trade akkreditierten Herberge. ZĂ€une gibt es nur, um die Ziegen von den frisch gepflanzten BĂŒschen und BĂ€umchen rund um die Lodge fernzuhalten. Am Lagerfeuer sitzen die Menschen aus Nqileni mit den Urlaubern zusammen, auch der große Aufenthaltsraum im Haupthaus wird von allen gemeinsam genutzt. Die Einheimischen profitieren von der Lodge. Der Dorfgemeinschaft gehören 40 Prozent des Unternehmens, von den Gewinnen haben Sie bereits einen Traktor angeschafft und einen Kindergarten mit Vorschule aufgebaut. Insgesamt 50 ArbeitsplĂ€tze sind in Nqileni und Umgebung durch den Tourismus entstanden.

Die 23-jĂ€hrige Khunjulwa Palamenti hat so einen Weg gefunden, ihre Familie zu unterstĂŒtzen. Die GĂ€stefĂŒhrerin lĂ€dt zu einem Rundgang durch ihr Dorf ein, erklĂ€rt Geschichte und Kultur und ĂŒbersetzt bei den GesprĂ€chen mit den Einheimischen. Die im lĂ€ndlichen Eastern Cape ansĂ€ssigen Xhosa sprechen fast ausschließlich ihre gleichnamige Muttersprache. Seit Kurzem begleitet Palamenti die GĂ€ste auch als Übersetzerin auf der Tour mit dem Sangoma, einem der in SĂŒdafrika noch weit verbreiteten Naturheiler. Melidinga Mdoseni streift dann mit der Gruppe durch den Qane Urwald und erzĂ€hlt von der Heilwirkung der verschiedenen Borken, BlĂ€tter und Wurzeln. Glaubt man ihm, ist gegen jedes Leid ein Kraut gewachsen, selbst gegen gewalttĂ€tige EhemĂ€nner hat er einen Baumrindentee im Angebot. Doch auch wer eher der Schulmedizin vertraut, kommt auf seine Kosten, wenn der 56-JĂ€hrige in seinem grĂŒnen Heiler-Overall die Fauna erklĂ€rt, frisch vom Baum geschĂ€lte Borke zum ZĂ€hneputzen verteilt oder plötzlich mitten im Urwald eine einem Rettich Ă€hnelnde Wurzel ausgrĂ€bt und in StĂŒcke gehackt seiner zögerlichen Kundschaft zum Verzehr anbietet.

Da KriminalitĂ€t in und um Nqileni keine Rolle spielt, kann man auch auf eigene Faust endlos ĂŒber die grĂŒnen HĂŒgel, durch die verbliebenen UrwĂ€lder und entlang der faszinierenden KĂŒste wandern. Die Lagune direkt vor der Lodge, in der der Bulungula-Fluss langsam in den Ozean mĂŒndet, lĂ€dt zudem zu Kanu-Touren ein, auch auf dem PferderĂŒcken lĂ€sst sich die Gegend hervorragend erkunden und wer mag, kann einen Tag mit den Frauen der Dorfgemeinschaft verbringen und lernen, aus Lehm Steine fĂŒr die RundhĂŒtten zu fertigen oder Umqombothi, ein Mais-Bier, zu brauen. Pilsener und Lager gibt es dagegen an der Lodge-Bar, die auch drei erschwingliche, warme Mahlzeiten pro Tag anbietet. Selbstversorger mĂŒssen ihr Essen mitbringen, einen Einkaufsmarkt gibt es nicht, aber im Meer kann man sich an Langusten, Krabben, Austern und Fischen bedienen, die abends selbst am Lagerfeuer gegrillt werden können. Wer beim Beutezug nicht allein sein will, kann auch hier auf die Erfahrung eines Guides zurĂŒckgreifen.

Das Konzept geht auf. „Unsere GĂ€ste kommen wegen der kulturellen Erfahrungen und wegen der traumhaften Lage“, berichtet Benjamin. Fernab des Haupt-Touristenstroms versucht sich die gastfreundliche Dorfgemeinschaft mit Hilfe der Urlauber weiterzuentwickeln. Als Hintergrund dient eine touristisch unberĂŒhrte Traumlandschaft. Das Wasser ist ganzjĂ€hrig warm und selbst im sĂŒdafrikanischen Winter von Mai bis September ist es meist 20 bis 25 Grad warm und in der Regel sonnig. Das lĂ€ndliche Eastern Cape hat etwas von der Klischee-Vorstellung des traditionellen Afrikas. Kein Strommast stört das Panoramabild, kein Lichtsmog macht die Sternschnuppen unsichtbar und kein StraßenlĂ€rm kann die Idylle stören. Wenn es Krach gibt, dann sind es entweder KĂŒhe, Esel oder HĂŒhner. Nqileni ist ein armes Dorf, aber es hat seinen eigenen Rhythmus, der den Ort paradiesisch anmuten lĂ€sst. Ein Eindruck, der spĂ€testens dann zum Wiederkehren verleitet, wenn man wieder in das „normale“ SĂŒdafrika und den hektischen Verkehr auf der Fernstraße N2 einbiegt.

Erschienen am 22.5.2010 im Weser Kurier.