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Sie reiten schneller als SMS

10. April 2011 – 09:18

Im Hochland Lesothos gibt es nur wenige Autos und kein Handynetz. Auf Ponytouren lernt man Land und Leute kennen – und wird zum Teil der Nachrichtenkette.

Rock rührt sich nicht. Keinen Zentimeter weiter will sich das Basotho-Pony der Schlucht nähern, die der Makhaleng-Fluss Hunderte Meter tief in den Fels des umliegenden Gebirgsplateaus geschliffen hat. Der Abstieg auf den Serpentinenpfaden ist halsbrecherisch, das Zögern des Ponys verständlich. Seit Stunden schon staksen Rock und die anderen Ponys gehorsam über zum Teil spiegelglatte Felsvorsprünge des Maloti-Gebirges. Der Ritt ist nichts für schwache Nerven und die Tatsache, dass jeder Reiter seine Krankenversicherungsnummer im Büro der Pony-Führer-Vereinigung hinterlegen muss, macht angesichts der Route nur nervöser.

Scheinbar hat auch Rock keine Lust mehr. Doch als Mahau Mahau, der Tourguide, drei Mal mit der Zunge schnalzt, setzt sich das Pony plötzlich wieder in Bewegung. “Die Schnalzlaute klingen für die Ponys wie das Klackern von Hufen auf steinigem Boden”, sagt Mahau. Der Herdentrieb macht dem Tier Beine.

Mahau reitet nicht zum ersten Mal auf dieser Strecke durch das Hochland. Seit zehn Jahren arbeitet der 28-Jährige als Tourguide. In die Schlucht sei noch keiner gefallen, muntert er die Reitanfänger auf. Die Pferde wüssten schon, was sie tun.

Die Ponytouren durch Lesothos Berge sind eine ungewöhnliche Art, das kleine, von Südafrika umgebene Land kennenzulernen. Bei Touristen werden sie immer beliebter. Ganze 65 Pony-Führer sind inzwischen in der Malealea Pony Trek Association zusammengeschlossen, der auch Mahau angehört.

Sie wurde 1986 zur Eröffnung der Malealea-Lodge gegründet, der einzigen Herberge im gleichnamigen Dorf. Die Pony Trek Association ist jedoch ein unabhängiger Betrieb. Das Buchungssystem läuft zwar über die Lodge, doch der Profit aus den Touristenführungen gehört den Guides. Für die meisten ist es die einzige Einnahmequelle.

Lesotho galt einst als das ärmste Land der Welt. In den letzten Jahren ist die Armut ein wenig zurückgegangen. Das liegt an den reichen Diamantenminen, vor allem aber am Trinkwasservorkommen, mit dem Lesotho Südafrika gegen Bezahlung versorgt. Doch die Mehrzahl der Einwohner lebt immer noch von Ackerbau und Viehzucht. Die Erträge decken dabei gerade ihren Eigenbedarf. Davon können sich die Urlauber selbst ein Bild machen: Vom Ponyrücken aus bekommt man einen authentischen Einblick in das Leben im ländlichen Lesotho.

Die Guides nehmen die Touristen mit in die Bergdörfer der zerklüfteten Maloti-Gebirgskette. Mindestens eine Ãœbernachtung ist immer Teil der Tour. Mahau war mit manchen Gruppen aber auch schon mehr als zwei Wochen unterwegs. Das Geschäft läuft für ihn gut genug, um zu expandieren: “Rock war mein Startkapital. Mein erstes Pony”, sagt Mahau über den Hengst. Später kam noch Rasta dazu, ebenfalls ein Hengst.

Die Piste ist inzwischen zwar breiter, ähnelt mit all dem Geröll allerdings mehr einem trockenen Flussbett als einer Straße. Ein Dutzend Ziegen sucht im kargen Gebüsch nach ein paar saftigen Blättern. Das Bimmeln der Glocken um den Hals des Viehs ist in der Mittagshitze weit und breit das einzige Geräusch. “Wir müssen hier kurz anhalten.” Ein paar Rundhütten stehen weiter unten am Hang. “Ich muss eine Nachricht überbringen”, entschuldigt sich Mahau. Er verschwindet in einem der Lehmhäuser. Worum es geht, sagt er nicht. Briefgeheimnis.

Kein Briefträger kommt in dieses Dorf. Wer Post bekommt, holt sie bei der nächsten Schule ab, die einige Reitstunden talwärts liegt. Die Nachricht, die Mahau heute überbringt, wurde jedoch dringend erwartet. So dringend, dass sie nicht einmal per SMS geschickt werden konnte. Die Netzabdeckung ist in Lesotho so schlecht, dass Nachrichten und Anrufe nur ankommen, wenn sich der Handybesitzer dorthin begibt, wo er Empfang hat. Das heißt in den meisten Fällen: auf die Spitze des nächsten Berges. Der Ponybote ist da die zuverlässigere Lösung.

Zumal die Basotho-Ponys ausdauernder sind als jeder Akku. Das liegt an ihrer Abstammung. Basotho-Ponys sind eigentlich keine Ponys, sondern eine Mischung aus Arabern, Berbern und Englischen Vollblütern, die die Buren und Engländer im 19. Jahrhundert in die Gegend brachten. Im harschen Bergklima konnte sich die eher zufällig entstandene, klein gewachsene und zähe Rasse gut behaupten.

Auch heute noch sind die Ponys das praktischste und am weitesten verbreitete Transportmittel in Lesotho. Das Straßennetz wird zwar stetig ausgebaut, doch abgelegene Dörfer wie Phocha sind immer noch nur zu Fuß oder Pferd zu erreichen.

Hier gibt es keinen Strom und fließend Wasser nur aus dem kristallklaren Gebirgsbach, dem Ribane. Die Dorfgemeinschaft hat eine Rundhütte für die Touristen freigeräumt und diese mit ein paar Campingmatratzen und etwas Kochgeschirr ausgestattet.

Die Hirtenjungen sind schon kurz nach Einbruch der Dunkelheit die letzten, die an diesem lauen Abend in der Dämmerung zu hören sind. Sie haben ihre Sommerlager hoch oben in den Bergen aufgeschlagen, wo das Vieh genug Grün zum Weiden findet. Die Wiesen rund um die Dörfer sind überweidet. “Und wenn der Regen kommt, dann heftiger und kürzer als früher”, sagt Mahau. Bodenerosion ist die Folge. Kleine, an vielen Stellen eingestürzte Steinmäuerchen zeugen entlang der Strecke vom Kampf um die wertvolle Erdschicht, den die Basotho auf ihrem steinigen Land führen.

Mahau spricht über diese Dinge nicht nur, weil es seine Aufgabe als Führer ist. Für ihn sind die Urlauber seine persönlichen Gäste und die sollen auch etwas über die Lebensumstände ihrer Gastgeber lernen. Wissen zu vermitteln ist ohnehin Mahaus Berufung. Vor zehn Jahren musste er die Schule abbrechen, weil das Geld für die Fahrten in die weit entfernte Stadt nicht mehr reichte. Bald aber will er sein Abitur nachholen, um dann die vielen Hirtenjungen zu unterrichten, die nicht zur Schule gehen können. Bis es soweit ist, können sich die Dörfer rings um Malealea jedoch noch einige Zeit auf ihren zuverlässigen Nachrichtenboten verlassen.

Erschienen am 9.4.2011 auf ZEIT online.