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Eine Diva teilt Kapstadt

22. Januar 2010 – 16:34

Südafrikas Kap-Metropole feiert ihr neues Fußballstadion, doch nicht alle tanzen mit

Am morgigen Sonnabend wird im neuen WM-Stadion in Kapstadt erstmals der Ball rollen. Zum Eröffnungs-Festival treffen die beiden Erstligisten der Stadt, Ajax und Santos FC, aufeinander. Ob diese Vereine das 500 Millionen Euro teure Stadion, das 70000 Menschen Platz bietet, auch nach der Fußball-Weltmeisterschaft noch füllen können, gilt allerdings als äußerst unwahrscheinlich. Zu weit entfernt ist die „Diva von Kapstadt“, wie die Architekten das teuerste Gebäude der Stadt nennen, von den fußballfanatischen Menschen in Kapstadts Townships.

Direkt am Ozean gelegen sei das neue WM-Stadion, erbaut „vor der eindrucksvollen Kulisse der Kapstädter Berge“ schwärmt die deutsche Website des Weltfußballverbandes FIFA. Auch Restaurants, Hotels, Strände und Bars finden sich reichlich in unmittelbarer Umgebung. Die Anwohner indes bildeten Initiativen, die gegen den Stadionbau auf einer öffentlichen Grünfläche im wohlhabenden Green Point gerichtlich vorgingen. Erfolglos. Kapstadts Bürgermeister Dan Plato von der DA, die in dem ehemals Weißen vorbehaltenen Stadtteil hauptsächlich gewählt wird, gab sich viel Mühe diese Bedenken zu zerstreuen. Er sieht das Stadion bereits als eine der Sport-Sehenswürdigkeiten der Welt.

Dr. Dale McKinley kann den Superlativen auch nur wenig abgewinnen. Der Sozialrechtsaktivist aus Johannesburg kritisiert die hohen Kosten während die Ärmsten auf der Strecke blieben: „Wenn eine Regierung, die Milliarden ausgegeben hat, um Stadien und andere Infrastruktur zu errichten, die hauptsächlich Touristen und einer kleinen heimischen Minderheit dienen, nicht dafür sorgen kann, dass Schulkinder in den bedürftigsten Stadtteilen vernünftige Fußballplätze und Ausrüstung haben, dann sollte klar sein, dass die Prioritäten fürchterlich verschoben sind.“ Auch den Versprechen von neu entstehenden Arbeitsplätzen im Sog der WM glaubt er nicht. „Einige Südafrikaner profitieren sicherlich, die Bauindustrie und die großen Unternehmen, die die WM sponsern“, sagt der Sozialwissenschaftler, „aber die Arbeitsplätze die entstehen, sind weg, sobald die Stadien und Straßen fertig sind.“ „Nicht nachhaltig“ sei das, sagt McKinley und fügt das schockierende Beispiel des ebenfalls neu errichteten Mbombela-Stadions in Nelspruit an. Dort wurde eine Schule nahe eines Armenviertels geschlossen, um sie für Büroräume zum Stadionbau zu nutzen. Natürlich gab es Versprechen für eine neue Schule, sogar Straßen und eine öffentliche Klinik sollten gebaut werden. „Passiert“, so McKinley, „ist noch nichts, höchstens das Fundament ist fertig.“

Das wirft die Frage auf, woher das Schwellenland Südafrika die knapp zwei Milliarden Euro, die bisher in Infrastruktur und Stadien investiert wurden, überhaupt nimmt. Die Johannesburger Sozialforscherin Sharon Groenemeyer führt auf, dass die Zahlen 7,5 Mal über den ursprünglichen Schätzungen liegen und gibt zu bedenken, dass die Summe inzwischen weit mehr als halb so hoch ist, wie die Investitionen in 1,6 Millionen Township-Häuser in den letzten zehn Jahren zusammen. Bezahlen also die Armen für die WM?

Die FIFA jedenfalls übernimmt lieber den Einnahmen- als den Ausgabenteil. Der Weltfußballverband hat zwar Rekorderlöse für die Vermarktung der Übertragungsrechte erzielt, beteiligt sich an den Baukosten aber überhaupt nicht. Die südafrikanische Regierung hält sich bedeckt und redet lieber über die Fortschritte beim Bau der Arenen und die Sicherheitskonzepte für Fußball-Touristen. Die ursprüngliche Version, die Kosten für Stadien und Infrastruktur aus Ersparnissen in der Staatskasse zu begleichen, dürfte jedenfalls spätestens mit der 750-prozentigen Kostensteigerung nicht mehr haltbar sein. Kurz nach der WM-Vergabe, sagt Groenemeyer, sei das Steuergesetz verändert wurde. Nun sei es möglich, das Budget für Fußballstadien auf den Steuerzahler umzulegen, eine Erhöhung der Einkommensteuer sei bereits für die nächsten Monate geplant. Neue Schulden, mehr Steuern und weniger Ausgaben für die Bedürftigen, das scheint inzwischen das Finanzierungskonzept der WM zu sein.

Doch was bleibt den Südafrikanern von „ihrer“ WM? Das kleine Geschäft, das sich viele Straßenhändler erhoffen, bleibt in den Bereichen um die Stadien den lizensierten Partnern der FIFA vorbehalten. Abseits der Spielstätten werden die Touristen ob der Sicherheitswarnungen kaum umherschlendern. Die neuen Bus- und Zugsysteme dürften nach der WM den Niedrigverdienern helfen, die täglich von den Townships weit außerhalb ins Zentrum zur Arbeit pendeln. Die Arenen werden aber weitestgehend der kleinen Mittel- und Oberschicht vorbehalten sein, die sich Anreise und Eintritt leisten können. Die Ärmsten, die für ihre Kinder Schulen bräuchten, an denen die auch tatsächlich etwas lernen, und die wie in Township der Cape Flats für zwei Millionen Menschen nur über ein einziges Krankenhaus verfügen, bringt die WM nichts. Es gab sogar einen Plan, das Stadion in Athlone auf den Cape Flats anzusiedeln, wo der Santos FC seine Heimspiele austrägt. Das Projekt wäre laut Groenemeyer wesentlich günstiger geworden, aber die FIFA habe nicht gewollt, dass die Welt die Blechhütten im Hintergrund sehe. Daher habe man sich für Green Point entschieden und damit „die Trennlinie zwischen den Rassen verfestigt.“

„Die Kids in den Townships werden die Möglichkeit bekommen, ihre Stars zu sehen“, sagt Groenemeyer zum Schluss ironisch – „im Fernsehen.“ Doch selbst das wird viele Südafrikaner mit Stolz erfüllen. Denn schließlich ist es „ihre“ WM, zum ersten Mal auf „ihrem“ Kontinent. Ob die Diva von Green Point irgendwann auch „ihr“ Stadion wird, bleibt dagegen abzuwarten.

Erschienen am 22.1.2010 auf ZEIT online.