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Stoff lehren, Kulturen lernen

15. Juli 2010 – 06:54

Warum Deutsche Lehrer ins Ausland gehen

Mitten in der Mathematikstunde greift Dirk Heiß zur Gitarre, die rechts neben seinem Lehrertisch steht. „Lasst uns unseren Gast erst einmal willkommen heißen“, fordert er seine 5. Klasse auf. Die Kinder sind sichtlich froh über die Abwechslung und singen ein Begrüßungslied in bestem Hochdeutsch. In den Fluren und auf dem Pausenhof gliedern sich deutsche Satzfetzen aber in ein Sprachgewusel aus Englisch und Xhosa ein. Die Deutsche Schule Kapstadt ist eine Begegnungsschule. Ursprünglich gegründet, um Kindern deutscher Auslandsangestellter eine äquivalente Schulausbildung zum deutschen Bildungssystem zu ermöglichen, kommen inzwischen zwei Drittel der Schüler aus dauerhaft in Südafrika lebenden Familien – und nur die Hälfte davon hat überhaupt einen deutschen Hintergrund.

Die Gründe für den großen Zuspruch liegen auf der Hand. Die Deutsche Schule, am Fuße des Lions Head majestätisch über der Kapstadter Innenstadt und in Sichtweite zur massiven Front des Tafelbergs gelegen, ist mit umgerechnet 640 Euro Schulgebühren pro Quartal noch immer eine der günstigeren unter den Top-Privatschulen Kapstadts. Außerdem erhoffen sich einige Südafrikaner, dass ihre Kinder dort eine weitere wichtige Sprache lernen und eventuell einmal Karriere in Europa machen können. Auch die Vorstellung von deutschen Tugenden wie Disziplin und Pünktlichkeit spielen eine Rolle, doch gerade bei den germanischen Klischee-Paradeeigenschaften hapert es laut Heiß für manch südafrikanisches Elternpaar. „Denen sind wir schon zu liberal, für Schüler, die aus Deutschland hier her kommen, sind wir dagegen eher streng und konservativ“, berichtet der deutsche Lehrer. Eine richtige Uniform, wie sonst in Südafrika üblich, hat die Deutsche Schule nicht, lediglich ein Polohemd oder einen Pullover der Schule und dazu blaue Hosen oder Röcke müssen die Schüler tragen.

Disziplinprobleme gibt es aber laut Heiß kaum. Der 38-Jährige schwärmt von dem hohen Respekt, den die Kinder Erwachsenen entgegenbringen, der auffälligen Höflichkeit und dem Engagement seiner wissbegierigen Schützlinge. Der Grund-, Haupt- und Realschullehrer hat es daher nie bereut, 2005 nach Kapstadt gegangen zu sein. Für ihn war es damals ein Abenteuer, eine willkommene Abwechslung in der Arbeitskarriere. Als sogenannte Auslandsdienstlehrkraft (ADLK) wurde er für drei Jahre vermittelt und hat seinen Kontrakt inzwischen bereits um drei weitere Jahre verlängert. Nach sechs Jahren müssen die ADLKs im Normalfall nach Deutschland zurückkehren, da Heiß jedoch in der Steuergruppe der Schule und als pädagogischer Qualitätsmanager Funktionsstellen besetzt, kann er insgesamt acht Jahre bleiben. Danach könnte er nur noch als Ortskraft an der Schule bleiben, doch die verdienen in Südafrika mit umgerechnet 900 Euro kaum mehr als das Existenzminimum. Die vermittelten ADLKs, die ungefähr ein Viertel der sechzig Lehrkräfte an der Deutschen Schule Kapstadt ausmachen, kommen mit Auslands-, Kinder- und Ehegattenzuschlägen auf das Vier- bis Fünffache. „Man kann sich das hier gut gehen lassen“, sagt Heiß ehrlich. „Es ist viel Arbeit, aber die macht auch viel Spaß.“ Genau deswegen spekuliert er auch bereits darauf, trotz der finanziellen Einbußen länger zu bleiben. „Wer sagt denn, dass ich gehe?“, entgegnet der passionierte Musiker, der an der Schule auch eine Rockband und die Musikproduktions-AG leitet, auf die Frage, ob er es nicht vermissen würde, die Entwicklung seiner Schüler weiter zu verfolgen.

Der Wohlfühl-Faktor des Lehrers für Deutsch, Mathematik, Kunst und Informatik hängt – das wird deutlich – natürlich nicht nur vom Salär ab. Er hebt das Arbeitsklima und die Ausstattung an der Schule hervor. Heiß hat beispielsweise seine Tafel durch ein interaktives Whiteboard ausgetauscht, das er vom Laptop am Lehrertisch bedienen kann. Der Musikraum, sagt er, sei in der Form in Deutschland nur in Musikschulen zu finden. Als Heiß in Kapstadt anfing, sagte ihm der damalige Schulleiter sogar: „Wenn Sie gute Ideen haben, bringen Sie sie ein, am Geld soll es nicht scheitern.“ Das klingt nach Lehrer-Eldorado.

Doch gerade Kapstadt hat natürlich noch mehr zu bieten. Der im namibischen Lüderitz geborene Heiß lobt auch das sonnige Gemüt der Südafrikaner, die Kinderfreundlichkeit der Menschen und das reichhaltige Freizeitangebot der Kapregion. Wer auf Letzteres jedoch sein Hauptaugenmerk legt, wird unter den Kollegen scherzhaft als „Safari-Lehrer“ klassifiziert und scheitert in der Regel. Weil solche Fälle aber eher selten sind, nimmt die Schulleitung der Deutschen Schule die entsendeten Lehrer mit Kusshand, schließlich werden sie aus Deutschland bezahlt und bedeuten somit kostenfreie, zusätzliche Qualitätslehrkräfte. Die Schulen können die Lehrer sogar aus einem Bewerberpool für Auslandsschulen selbst aussuchen und anwerben. Es komme aber auch vor, dass deutsche Lehrer wegen der hohen Kriminalität und den damit verbundenen Vorurteilen Stellen in Südafrika ablehnten, berichtet Heiß. In seine Wohnung sei auch schon zweimal eingebrochen worden, erzählt der zweifache Vater, dennoch hält er das Risiko für überschaubar. „Die absolute Sicherheit gibt es nicht“, aber man könne sich an Regeln halten und so die Gefahr mindern.

Die Maßnahmen muten bisweilen kurios an. Weil er hörte, dass Einbrecher ausrasten können, wenn sie keinen Tresor finden, hat Heiß extra einen Billig-Safe angeschafft und ein paar Scheine sowie zwei kaputte Digital-Kameras hereingelegt nur um im Ernstfall Beute für Gauner parat zu haben. „Was man nicht beeinflussen kann, darüber sollte man sich auch keine Gedanken machen“, schließt Heiß das Kapitel Kriminalität ab. Er ist heimisch geworden in Kapstadt und kommt mit den Makeln der Metropole zurecht.

Nicht umsonst empfiehlt er daher auch seinen Kollegen in Deutschland vorbehaltlos, ein Auslandsengagement einzulegen. Dafür gibt es allerdings noch einen weiteren Hauptgrund: „Hier zu leben und zu arbeiten, ist eine Erfahrung, die prägend ist, und die dich von dem ganzen kleinkarierten Gejammer in Deutschland auf den Boden bringt. Deutschland ist ein tolles Land. Das habe ich in Deutschland auch nicht so gesehen, aber deshalb ist es wichtig Deutschland von außen kennen zu lernen.“ Wirklich Heimweh hat er dennoch nicht, nur eine Sache bereitet ihm Wehmut, die auch die Gitarre im Mathematikunterricht erklärt. Er hat in Deutschland in einigen Pop- und Coverbands gespielt. „Dass vermisse ich und das will ich auch wieder“, sagt Heiß. „Aber irgendwo wird man auch älter. Wenn ich zurück komme, bin ich 42, da muss ich mir in meiner Musikerkarriere was Neues suchen, Countrymusik oder Deutschen Schlager vielleicht.“ Sagt’s, lacht und verteilt anschließend den Mathe-Test aus der Vorwoche.

Erschienen am 15.7.2010 auf ZEIT online.